
Zwei Bücher, die unterschiedlicher kaum sein könnten und doch dieselben Fragen stellen: wer bin ich? Wo komme ich her? Welchen Einfluss hat das auf meine Persönlichkeit? Könnte ich wer ganz anderes sein? Michelle Zauners Erinnerungen an ihre Mutter, die für sie ihre koreanische Seite verkörperte, bricht in einem H Mart, einem Supermarkt für asiatische Produkte, aus ihr heraus. Ist sie überhaupt noch Koreanerin, jetzt, wo die Mutter nicht mehr lebt? Danya Kukafkas Protagonist ist nur Stunden vor der Todesspritze. Er ist ein Mörder, daran besteht kein Zweifel, aber hätte er nicht auch etwas Anderes werden können, wenn die Situation seiner Eltern und Kindheit nicht so gewesen wäre, wie sie war?
„Crying in H Mart“ ist nicht nur die Aufarbeitung des Verlustes, sondern vor allem, die Reflexion darüber, wie sehr die beiden Eltern mit ihren unterschiedlichen Kulturen die Tochter geprägt haben. Es sind vor allem die verschiedenen Lebensmittel, mit denen Zauner ihre Mutter verbindet, das typische Essen, das plötzlich fehlt, als die Mutter nicht mehr da ist und sie realisiert, dass sie nie gelernt hat, dieses selbst zu kochen. Es wird ihr auch klar, wie wenig sie die Mutter kannte und verstand, vieles blieb in den USA verborgen, was in der koreanischen Heimat bei Besuchen so selbstverständlich war. Es ist daher nicht nur der Verlust eines geliebten Menschen, sondern ein ganzer Teil ihrer Persönlichkeit, der mit dem Tod aus ihr herausgerissen zu sein scheint.
Danya Kukafka lässt in den Leser an Ansel Packers letzten Gedanken teilhaben, während parallel im Rückblick die Ermittlungen zu den Morden an drei jungen Frauen geschildert werden. „Notes on an Execution“ zeigt den Mörder nicht nur als Monster, sondern zunächst als Kind in einer gewalttätigen Familie, seine Mutter meint es gut, als sie dafür sorgt, dass die Polizei die beiden Söhne herausholt, doch für Ansel reißt das ein emotionales Loch, eine Leere, die er nicht mehr füllen kann, die auch die extremen Erfahrungen von Mord nicht füllen können. Ansel ist nicht nur das Monster, sondern wird geradezu charismatisch geschildert – wenn er andere Entscheidungen getroffen hätte, säße er nun nicht im Todestrakt mit tickender Uhr.
Zwei völlig verschiedene Bücher und doch teilen sie die zentralen Fragen, die einem auch als Leser nicht loslassen. Beide sind emotional herausfordernd, Zauner, weil sie detailliert die letzten Monate der Krebserkrankung der Mutter schildert, das langsame dahinvegetieren bis zum letzten Tag, Kukafka, weil sie den Mörder eben nicht nur einseitig schildert, sondern nahelegt, dass es nicht notwendigerweise zu diesen Taten hätte kommen müssen und nicht nur der Täter selbst Schuld auf sich geladen hat.