Agatha Christie – Der blaue Express

Agatha Christie – Der blaue Express

Nachdem Katherine Grey unerwartet zu einer Erbschaft gekommen ist und sich sogleich die gierige Verwandtschaft meldet, verlässt das englische Dorf St Mary Mead, um mit dem „Blauen Express“ an die Côte d’Azur zu fahren. In eben diesem macht sie zunächst die Bekanntschaft mit Ruth Kettering, Tochter des amerikanischen Millionärs Rufus Van Aldin, die sich heimlich mit ihrer großen Liebe verabredet hat, nachdem ihre Ehe auf eine Scheidung zusteuert. Auch einen sympathischen älteren Herrn lernt Katherine im Speisewagen kennen, mit dem sie die Leidenschaft für Kriminalgeschichten teilt. Als der Zug in Lyon hält, wird eine furchtbare Entdeckung gemacht: Ruth wurde ermordet. Verdächtige gibt es gleich mehrere, ihr mysteriöser Liebhaber ebenso wie ihr Gatte, dem der Tod seiner Frau mehr als gelegen kommt und der zufälligerweise ebenfalls an Bord des Zugs war. Für die französische Polizei ist es ein Glücksfall, dass Hercule Poirot ebenfalls genau jenen Express nahm und gerne bereit ist, bei den Ermittlungen zu unterstützen.

Die diesjährige Read Christie Challenge hat mit zu Hercule Poirots sechstem Fall geführt, da die März Aufgabe darin bestand, einen Roman zu lesen, den die Grand Dame of Crime im Ausland geschrieben hat. „Der blaue Express“ wurde 1927 auf den Kanarischen Inseln verfasst, nachdem Christie im Jahr zuvor ihre Mutter verloren hatte, die Untreue ihres Ehemanns entdeckte und selbst auf mysteriöse Weise zehn Tage verschwunden war. All diese belastenden Erfahrungen haben sie jedoch zum Schreiben zurückgeführt und eine klassische Locked Room Geschichte mit reicher Erbin, heimlichen Liebschaften und begehrten Juwelen hervorgebracht.

Setting wie auch Lösung des Falls folgen den bekannten Mustern der Kriminalromane Christies. Die Lösung scheint zunächst auf der Hand zu liegen und doch hat der clevere belgische Meisterdetektiv Zweifel. Menschenkenntnis und scharfe Beobachtung führen letztlich dazu, dass Puzzleteil für Puzzleteil an seinen Platz findet. Zum ersten Mal begegnet man als Leser den Örtchen St. Mary Mead, das später zur Heimat von Miss Marple und Schauplatz von „Mord im Pfarrhaus“ werden wird.

Von den Kritikern mit sehr unterschiedlichen Meinungen aufgenommen hat mir der Krimi besser als viele andere Poirot Romane gefallen, da Christie hier bei der zentralen Handlung bleibt und auf abschweifende Nebenstränge verzichtet.

Olivier Adam – Les roches rouges

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Olivier Adam – Les roches rouges

Leila aime Antoine, Antoine aime Leila. Mais Leila est mariée à Alex qui ne va certainement pas partager son épouse et mère de leur fils avec quelqu’un d’autre. Quand Alex blesse Antoine gravement, celui-ci et Leila savent qu’ils ni peuvent et ni veulent continuer ainsi, une affaire clandestine, toujours en peur, toujours cachés. Mais, ils savent aussi qu’il leur faut parler franchement comme tous les deux ont menti à l’autre. Antoine n’est pas musicien et il n’a que 18 ans, Leila n’a pas 26 ans, mais 21 et soudain, il se retrouvent en fuite ne sachant où aller. Loin de Paris, ils passent quelques jours de joie sans peur, mais leur petit bonheur ne va pas durer longtemps.

Olivier Adam raconte l’histoire en alternant les perspectives de Leila et d’Antoine. Ainsi, on sait ce qu’ils ressentent et, beaucoup plutôt que les personnages, on connaît leurs secrets et tout ce qu’ils ont caché l’un de l’autre. Avant tout, c’est l’histoire de deux jeunes, majeurs de l’âge, mais enfants à l’intérieur. Tous les deux ont fait des expériences qui les ont fait dérailler de vie, perdre de vue leurs buts et rêves, et aussi perdre un peu la motivation de vie. Ensemble, ils commencent à regagner du courage, mais ni l’un ni l’autre sache comment ça se fait: vivre une vie tout à fait normale, aller au travail, renter le soi, aimer son conjoint, parfois partir en vacances. C’est cette vie simple dont ils rêvent.

J’ai aimé suivre le destin des deux jeunes qui sont tombés dans une situation dans le vouloir et sans pouvoir empêcher le pire. Il est clair du début que leur petite affaire ne va pas se terminer en bonheur, ils ne sont pas ceux qui le bonheur croise par hasard. Ce qui est vraiment dur à supporter c’est qu’il y aurait eu des possibilités de les soutenir dans la vie, de prévenir le chaos dans lequel ils se trouvent, de les aider à atteindre leur buts simples et modestes.

Une histoire qui donne à réfléchir, racontée d’un ton mélancolique qui révèles les faiblesses et les vulnérabilités de jeunes gens entre être enfant et adulte.

Alexander Oetker – Zara und Zoë – Tödliche Zwillinge

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Alexander Oetker – Zara und Zoë – Tödliche Zwillinge

Zweiter Einsatz für die ungleichen Schwestern. Endlich ist es Europol gelungen, einen Islamisten für sich zu gewinnen und so Zugang zu den Führern und ihren Anschlagsplänen zu bekommen. Doch der Informant scheint in Marokko, unweit der spanischen Enklave Melilla festzusitzen und womöglich ist er auch schon enttarnt. Profilerin Zara von Hardenberg muss handeln und viel Zeit bleibt nicht. Doch der Job ist unmöglich legal zu erledigen, den kann nur eine übernehmen: ihre Schwester Zoë. Diese wollte sich eigentlich nach dem letzten Einsatz zurückziehen, doch ihre eigene Organisation wird bedroht. Dem alten Mafiaboss Bolatelli laufen die Handlanger weg, denn die Al-Hamsi Brüder zahlen schlichtweg besser. Einmal mehr tauschen die Schwestern die Rollen, doch dieses Mal mit ungewissem Ausgang.

Auch im zweiten Band um die Europol-Ermittlerin und ihre Mafia-Schwester ist das Erzähltempo hoch und Bandbreite an Verbrechen und Gewalt kennt kaum eine Grenze. Oetker greift dabei auf aktuelle Bedrohungen zurück: die Angst vor islamistischem Terror hält Europa nach wie vor gefangen, ebenso sind mafiöse Strukturen im französisch-italienischen Grenzgebiet mit Korruption bis zu höchsten Ämtern kein Geheimnis.

Auch wenn ich den Rollentausch etwas bemüht finde, hat mich auch dieser Fall unmittelbar gepackt, so dass er innerhalb kürzester Zeit gelesen war. So verschieden die Schwestern, so unterschiedlich die Wahl der Mittel, besonders Zoë, die sich an kein Gesetzt gebunden sieht, folgt nur ihrem Instinkt (und entwickelt dabei geradezu übermenschliche Fähigkeiten, die dürften für meinen Geschmack etwas näher an der Realität bleiben). Gut gefallen hat mir, wie beiden besonders vom Schicksal der Frauen getroffen waren, trotz all der Härte, die beide mitbringen, bleiben sie so menschlich. Das Ende legt nahe, dass dies nicht ihr letzter Streich gewesen sein kann, man darf gespannt sein, wie sie mit der sich nun bietenden neuen Situation umgehen.

Insgesamt eine routiniert erzählte Geschichte mit viel Action und nicht allzu viel Tiefgang, genau das Maß Unterhaltung, was man gerne mal liest.

Anthony Horowitz – James Bond: Ewig und ein Tag

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Anthony Horowitz – James Bond: Ewig und ein Tag

007 ist tot. Sein Körper treibt regungslos im Hafen von Marseille. Die Mission lief sensationell schief. Glücklicherweise kann M auf einen jungen Kandidaten zurückgreifen, der sich in New York und Stockholm bereits im Einsatz bewährt hat: James Bond. Eine neue Nummer lehnt er ab, er will in die Fußstapfen von 007 treten und in Südfrankreich die Mission zu Ende führen, die seinen Vorgänger das Leben gekostet hat und so dessen Ehre retten. Er weiß, dass mit der korsischen Mafia nicht zu spaßen ist und dass diese vermutlich hinter dem Mord an dem Spion steckt. Doch ihr seltsames Verhalten wirft seit Monaten Fragen auf: warum liefern sie keinen Heroin Nachschub? Was bereiten sie vor? James Bond begibt sich in die Höhle des Löwen, wo noch ein anderer Gegner wartet: die attraktive Sixtine, vor der er sich ebenfalls besser in Acht nehmen sollte.

James Bonds erster Einsatz als Doppelnull-Agent, mit dem er sich die Lizenz zum Töten verdienen soll und der die Vorgeschichte zu „Casino Royale“ liefert. Gewagt von Horowitz, der sich schon zum zweiten Mal mit Hilfe von unveröffentlichtem Material Ian Flemings an die große Agentenfigur wagt. Viele bekannte Bausteine finden sich wieder – das Casino, der Martini, die attraktive Gespielin, der übermächtige Gegner, der gleich die ganze Weltherrschaft an sich reißen will – und für meinen Geschmack hat Horowitz Fleming überzeugend seine Stimme verliehen. Vor allem finde ich die Handlung ganz hervorragend in die Zeit hineingesetzt: es ist nicht der James Bond, den man aus den aktuellen Filmen kennt, sondern der Agent der 1950er Jahre.

Der Kriminalfall bietet einiges an verwirrenden Ansatzpunkten, die einem kräftig miträtseln lassen. Insgesamt ein überzeugender Fall, der glaubwürdig fundiert ist und von höchst individuellen Motiven geleitet wird, die jedoch erst nach und nach offenbart werden. Die volle Punktzahl gibt es jedoch nicht, da mir Bond wiederholt nur schwer vorstellbar agiert, so leichtsinnig könnte und dürfte ein Doppelnull Agent nicht sein. Auch dass Sixtine schnell die Seiten wechselt und von der knallharten Geschäftsfrau zur unterwürfigen Begleiterin an Bonds Seite wird, war mir in der Figurenzeichnung nicht stimmig genug. Mehrfach haben seine Gegner die Möglichkeit, ihn zu töten und tun es nicht – für die brutale Mafia, die andere Agenten schnell hinrichtet nicht ganz einleuchtend.

Nichtsdestotrotz insgesamt tolle Unterhaltung, die problemlos an die Romane Flemings heranreicht.

Eric Ambler – Epitaph for a Spy

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Eric Ambler – Epitaph for a Spy

Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gönnt sich Josef Vadassy seinen ersten Urlaub seit vielen Jahren. Lange lebte der Sprachenlehrer in England, die zunehmend schwierige politische Lage brachte ihn schließlich nach Paris und nun an die Côte d‘Azur. Der gebürtige Jugoslawe mit ungarischem Pass will seine geliebte Kamera testen, auf die er lange gespart hat. Als er jedoch seine entwickelten Bilder abholen will, wird er verhaftet. Auf den Bildern waren nämlich nicht nur Eidechsen, wie er angab, sondern auch Aufnahmen von militärischen Einrichtungen, was den Mann mit der ungeklärten Nationalität sehr verdächtig macht. Offenkundig hat jemand die Kameras vertauscht und wenn er kein Spion ist, dann muss es einer der anderen Gäste sein. Der französische Geheimdienst zwingt ihn zur Zusammenarbeit und droht mit der Deportation, die unweigerlich im Tod enden wird. Josef Vadassys Ermittlertätigkeiten sind mehr als dilettantisch und statt dem wahren Täter auf die Spur zukommen, scheint er viel eher sein eigenes Grab zu schaufeln.

Eric Ambler gehört zu den Erfindern der Spionageromane, die sich insbesondere durch einen hohen Grad an Realismus auszeichnen. „Epitaph for a Spy“ (in der ersten Übersetzung „Die Stunde des Spions“, in der späteren „Nachruf auf einen Spion“) war sein dritter Roman, den er 1938 verfasste und der die angespannte Lage auf den europäischen Kontinent authentisch einfängt. Kein Urlaubsgast kann einfach mehr die französische Riviera genießen, alle beobachten argwöhnisch die Mitbewohner und stellen Vermutungen über deren Hintergründe und Motive an.

Der Roman folgt erwartungsgemäß einem sehr klassischen Setting und sowohl die Figuren wie auch das Setting sind hervorragend aufeinander abgestimmt. Der über allem drohende Weltkrieg macht die Hotelgäste nervös. Die schweizer Besitzerin führt offenbar mit dem deutschen Schimler oder Heimberger – weshalb benutzt er zwei Namen? verdächtig! – etwas im Schilde, die Geschwister Skelton werden plötzlich küssend am Strand gesehen, die Liste der Verdächtigen wird immer länger, je näher Vadassy sie kennenlernt. Auch wenn die Geschichte klar ein Spionageroman ist, muss man doch immer wieder über die Unfähigkeit des Protagonisten, aber auch über das seltsame Vorgehen der scheinbar korrumpierten Polizei schmunzeln. Allein schon der Gedanke eine Person wie Vadassy ermitteln zu lassen, erscheint absurd. Doch die wahre Verstrickung zeigt sich erst am Ende der Geschichte und alle Fragen lösen sich sauber auf.

Unterhaltsamer Krimi aus längst vergangener Zeit. Eher mit humorvollen Passagen und auch durch die politischen Anspielungen überzeugend als durch eine hochspannende und komplexe Story. Erwartungen dennoch voll erfüllt.

Edgar Rai – Nächsten Sommer

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Edgar Rai – Nächsten Sommer

Eigentlich haben sie sich nur zum Fußballschauen verabredet, doch dann erzählt Felix von dem Haus, das er von seinem Onkel geerbt hat und da das Leben seiner Freunde gerade auch nicht viel zu bieten hat, beschließen er, Bernhard, Marc und Zoe mit einem alten VW Bus nach Südfrankreich zu fahren. Auf ihrer turbulenten Reise lesen sie noch Lilith auf, die eine dramatische Trennung hinter sich hat und eigentlich nur zu ihrer Schwester in nach Genf wollte. Zwischen Liebe und beinahe Tod, der Frage nach dem Sinn des Lebens und den ganz individuellen Zielen, heftigen Prügeleien und Flucht vor der Polizei wird die Reise selbst zum Ziel und das Ankommen rückt in den Hintergrund, denn die wichtigen Fragen sind noch nicht geklärt: wer bin ich und was tu ich eigentlich auf dieser Welt?

Edgar Rai hat mit seinem Roman die perfekte Sommerlektüre geschaffen, die jedoch nicht nur unterhaltsam locker daherkommt, sondern unerwartet viel Tiefgang entwickelt und mit interessanten und glaubwürdigen Figuren aufwartet, die die Handlung ganz wesentlich tragen. Die Reise selbst liefert nur den Hintergrund, vor dem die eigentliche Geschichte abläuft: eine Gruppe von Mittzwanzigern, die ihren Platz im Leben noch nicht gefunden haben.

Der Erzähler Felix ist zunächst derjenige, der als Person kaum auffällt, erst nach und nach entwickelt sich ein klares Bild von ihm, das durch eine kritische Vater-Sohn-Beziehung geprägt wurde, die einen nachhaltigen Schaden angerichtet hat; anders ist nicht zu erklären, weshalb er so plan- und ziellos durchs Leben driftet und seine Begabung für und Liebe zur Mathematik nicht einzusetzen weiß. Bernhard hingegen ist vollkommen angepasst, will nicht auffallen und schon gar nicht aus der Reihe tanzen. Doch seine im Sterben liegende Mutter und der heimliche Wunsch, den er sich eigentlich verbietet, dass ihr Leiden ein Ende haben möge, belastet ihn und hindert ihn, sein eigenes Leben in Angriff zu nehmen. Zoe hingegen liebt einen Mann, der jedoch verheiratet ist und ihr unmissverständlich klargemacht hat, dass sie nur Nummer zwei ist – das aber gerne bleiben darf. Liliths Expartnerin hat da den deutlichen Schnitt vorgezogen: mit Ende 30 ist sie zwar immer noch lesbisch, aber wenn sie Kinder haben will, braucht sie nun einen Mann. Marc will nicht mehr lieben, denn dies hat ihm nur Ärger und Schmerzen eingebracht, da sind Musik und regelmäßige Joints schon deutlich planbarer. Sie alle brauchen eine Auszeit von ihrem Leben und für wenige Tage können sie sich diese gönnen.

Trotz der bisweilen urkomischen Szenen und dem geschickten Wortwitz des Autors hängt über dem Buch eine gewisse Melancholie, die jedoch ganz wunderbar mit dem Rest harmoniert. Sie wird vor allem von Felix ausgestrahlt. Er benötigt bis zur richtigen Ankunft in seinem neuen Zuhause noch einer ultimativen Konfrontation, um sich selbst zu erkennen und sich von dem zu lösen, was ihn all die Jahre in eine Art Schockstarre verharren ließ. Als er befragt wurde, was er vom Leben erwarte, antwortete er unterwegs noch

„Aber wenn ja, dann möchte ich gerne verstehen, wozu ich auf der Welt bin.

Meine Erklärung kommt nicht gut an. »Geht’s nicht noch ein bisschen abstrakter?«, wirft Lilith ein. Und dann höre ich mich sagen: »Ich möchte bereit sein, den Tod anzunehmen.« Und mir wird klar, dass es tatsächlich das ist, was ich will: Keine Angst mehr haben, vor gar nichts. »Und ich möchte niemandem geschadet haben«, füge ich hinzu.“

Er wird noch einen letzten Kampf mit seinem Vater austragen müssen, bevor er erkennt, dass er eigentlich nur nicht sein möchte wie dieser, der ihn als Kind in ein Kellerloch gesperrt hat und nur Verachtung für ihn übrighatte. Zwischen Berlin und der Côte d’Azur finden sie alle ihre Antwort auf die Frage nach ihrem Sinn des Lebens, es ist nicht immer die, die sie erwartet hatten, aber eine, die für sie passt.

Øistein Borge – Kreuzschnitt

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Øistein Borge – Kreuzschnitt

Der Mord an einem schwerreichen norwegischen Unternehmer bringt den Osloer Kommissar Bogart Bull an die Côte d’Azur. Der alte Axel Krogh wurde jedoch nicht nur einfach ermordet, sondern seine Leiche auch noch mit einem Kreuz geschändet. Ein einfacher Raubüberfall war es offenkundig nicht, denn aus der Villa wurde nur ein kleines, scheinbar unbedeutendes Gemälde gestohlen. Bull und sein französischer Kollege Moulin tappen im Dunkeln, spätestens als wenige Tage später die Tochter des Millionärs ebenfalls ermordet wird, steigt der Druck auf die beiden Ermittler durch die Behörden und die Öffentlichkeit ins Unermessliche. Es gibt keine Spuren, aber die Kreuze auf den Rücken der Toten lassen Bull ahnen, dass mehr als Geldgier hinter den Morden steckt.

Øistein Borge ist die neue Entdeckung am skandinavischen Krimiautorenhimmel. Sein Debüt, das bereits im vergangenen Jahr in Norwegen begeistert aufgenommen wurde, lässt noch einiges von dem Regisseur und Texter erwarten. Er kann hier mit einer cleveren Geschichte, die viele unerwartete Wendungen nimmt und am Ende sauber gelöst wird, überzeugen. Auch sein Protagonist Bogart Bull hat einiges an Potenzial für noch folgende Romane.

Was dem Roman gänzlich fehlt, ist das nordische Flair, was aber im Wesentlichen durch den Handlungsort in Südfrankreich bedingt ist. Erfreulicherweise werden wir nicht mit ausgiebigen Diners gelangweilt und die Landschaftsbeschreibungen sind ebenfalls kein seitenfüllendes Accessoire der Handlung. Hier schon einmal ein großer Pluspunkt gegenüber der überbordenden Masse an Frankreich-Krimis der letzten Jahre. Kommissar Zufall hat nur eine winzige Rolle bei der Lösung des Falls, wenn leider auch entscheidend für die Aufklärung, aber irgendwoher müssen die Impulse ja kommen und es hat hier zumindest die Glaubwürdigkeit des Plots nicht nachhaltig geschädigt. Einziger Makel waren für mich die langen Erzählungen in der Kriegszeit. Zwar waren sie für die Motivation des Mörders essentiell, aber leider für meinen Geschmack etwas zu ausführlich und nur begrenzt spannend und interessant.

Alles in allem jedoch ein überzeugender Krimi, den man in einem Zug durchliest und der die Erwartungen weitgehend erfüllen kann.

Deborah Levy – Heim schwimmen

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Deborah Levy – Heim schwimmen

Es soll nur eine Woche erholsamer Urlaub an der Côte d’Azur werden. Der Autor Jozef, seine Ehefrau und Journalistin Isabel sowie deren 14-jährige Tochter Nina. Das Haus teilen sie sich mit ihren Freunden Laura und Mitchell. Schon bei der Ankunft droht Ungemach, im Pool treibt ein scheinbar lebloser Körper, der sich jedoch dann als ausgesprochen lebendige junge Frau herausstellt. Aus einem später nicht mehr nachvollziehbaren Impuls heraus lädt Isabel Kitty Finch ein, das noch freie Schlafzimmer zu nutzen. Isabel ahnt, dass dies der letzte Tropfen ist, der ihrer Ehe noch fehlt, um sie endgültig scheitern zu lassen. An allen Krisenherden der Welt ist sie präsent, während zu Hause ihr Mann das Bett mit anderen Frauen teilt und sich ihre Tochter zunehmend entfremdet. Ihre Freundin Laura ist ihr in diesem Moment auch keine Hilfe, steht diese ebenfalls vor einem Scherbenhaufen: das gemeinsame Geschäft ist pleite und sie und Mitch werden ihr Haus veräußern müssen. Keine guten Voraussetzungen für erholsame Ferien.

Deborah Levys Roman hat es 2012 bis auf die Short List des Man Booker Prize geschafft und wurde allseits für seine präzise Zeichnung von Figuren gelobt, die allesamt vom Leben enttäuscht oder frustriert sind und in eine ungewisse Zukunft blicken. Insbesondere Isabel wird sich der fragilen Lage bewusst, in der sie sich innerhalb des Familiengefüges und des Londoner Zuhauses befindet:

„In ihrem Haus in London war sie eine Art Gespenst. Wenn sie aus irgendeinem Kriegsgebiet zurückkehrte und feststellte, dass in ihrer Abwesenheit die Schuhcreme oder die Glühbirnen einen neuen Aufbewahrungsort erhalten hatten, in der Nähe, aber eben nicht genau dort, wo sie sonst immer gewesen waren, dann wurde ihr klar, dass auch sie keinen festen Platz im Haus der Familie hatte.”

Das Idyll der Kleinfamilie existiert nicht mehr. Vielleicht hat es dieses nie gegeben, trotzdem scheint die Verbindung zwischen ihr und Joe nicht gänzlich abgerissen, wie Tochter Nina erstaunt feststellt. Die kleinen Veränderungen sind es, die die Figuren letztlich völlig aus der Bahn werfen. Nachdem Joe – wie von Isabel schon zu Beginn prophezeit – mit Kitty geschlafen hat, stellt er fest:

„Alles war wie vorher, nur ein klein wenig anders.”

Dass dieses „klein wenig“ aber genau das ist, was ihm bislang an Mut gefehlt hat, wird erst einen Moment später klar. Deborah Levy benötigt nicht viele, ausschweifende Worte, um das Unglück ihrer Figuren auf den Punkt zu bringen und entwickelt so einen sehr eingängigen, eigenen Stil.

Ein kurzer Roman, in der Sommerhitze der Mittelmeerküste angesiedelt und somit perfekt für heiße Tage. Ein wenig hat er mich an Ali Smith „The Accidental“ erinnert, der mit einem ähnlichen Grundszenario spielt und bereits 2005 bis auf die Short List des Man Booker Prize vorgedrungen war.

Liza Klaussmann – Villa America

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Liza Klaussmann – Villa America

Villa America – Das Sommerhaus der Murphys, Gerald und Sara, in Antibes an der Côte d’Azur gelegen. Dort verbringen sie in den 1920er Jahren ihre Sommer mit zahlreichen illustren Gästen. Zu ihren Freunden gehören Zelda und Scott Fitzgerald ebenso wie die Hemingways, Cole und Linda Porter oder John Dos Passos. Man streitet sich, man versöhnt sich, man bewundert sich, gratuliert sich zum Erfolg und bedauert gemeinsam die Niederlagen. In diese Gruppe von überwiegend Amerikanern gesellt sich ein weiterer junger Mann aus der neuen Welt: Owen, seinerseits Pilot mit einem kleinen Unternehmen. Er verdreht Männern wie Frauen den Kopf und wirbelt gehörig Staub auf, trotz seiner zurückhaltenden, schüchternen Art.

Liza Klaussmann ist mit im letzten Jahr mit Tigers in Red Weather zum ersten Mal begegnet und sie konnte mich direkt begeistern. Nun hat sie sich nicht an einen fiktiven Stoff, sondern an eine faktisch-biographische Erzählung gewagt. Sie zeichnet das Leben von Gerald und Sara Murphy nach, einem ebenfalls künstlerisch tätigen Paar, das jedoch weniger wegen der geschaffenen Werke als vielmehr durch ihre Villa America und die dort verkehrenden Gäste Berühmtheit erlangten. Klaussmann ist auch nicht die erste, die sich dem Paar literarisch nähert, F. Scott Fitzgerald hat in seinem immer hinter dem Great Gatsby zurückstehenden Roman Tender is the Night den beiden bereits ein Denkmal gesetzt und Emily Walton hat in Der Sommer, in dem F. Scott Fitzgerald beinahe einen Kellner zersägte ebenfalls die illustren Runden an der Côte d’Azur beschrieben.

Inhaltlich gibt es daher nicht viel, was einem noch nicht bekannt ist. Zunächst beginnt der Roman auch etwas langatmig. Die Vorgeschichte, das Kennenlernen von Gerald und Sara in Amerika, ihre Familienverhältnisse etc. sind nur mäßig spannend du hätten für meinen Geschmack ganz entfallen können. Interessant wird es mit der Übersiedlung nach Europa und hier kommen auch Liza Klaussmanns Sprachvirtuosität und ihre unzähligen Anspielungen zu tragen. Man taucht ein in das Leben Südfrankreichs, die Soiréen der Künstler und Dichter. Immer wieder finden sich kleine und große Anspielungen auf die Werke der Anwesenden wie etwa das Licht, das man am anderen Ufer sieht und das fasziniert; dann der Stierkampf in Pamplona, den man so auch schon mal gelesen hat. Eine neue Facette ist der Pilot Owen und er bringt mit sich einen starken Kontrast insbesondere zu Hemingway. Dieser, Inbegriff des Maskulinen, kann mit den homosexuellen Tendenzen nichts anfangen. Andere hingegen sind gebannt von ihm. Besonders gelungen auch die Variationen in der Erzählform. Immer wieder – vor allem dann, wenn große Zeitabschnitte zu überbrücken sind – wechselt die Autorin hin zur Erzählung in Briefform, was ihr geschickt erlaubt, die Wochen und Monate zu raffen und die vor allem am Ende tragischen Ereignisse für sich sprechen zu lassen.

Ein Roman zum Abtauchen in eine längst vergangene Welt, die Roaring Twenties in vollem Rausch.

 

Emily Walton – Der Sommer, in dem F. Scott Fitzgerald beinahe einen Kellner zersägte

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Emily Walton – Der Sommer…

Sommer 1926. Sein Meisterwerk bekommt nicht die Zuwendung, die er sich erträumt hat. Das Leben in Paris und der schlechte Gesundheitszustand seiner Frau Zelda führen letztlich dazu, dass Sich F. Scott Fitzgerald mit seiner Familie in dem beschaulichen Juan-les-Pins niederlässt, in unmittelbarer Nähe der befreundeten Sara und Gerald, denen es wie keinem zweiten Paar gelingt, Künstler aller Art und vor allem amerikanische Expatriates an die Côte-D’Azur zu locken und dort eine illustre Gesellschaft zu bilden. Auch der noch unbekannte Ernest Hemingway ist darunter und droht Fitzgerald den Rang abzulaufen – was sich schlecht mit seiner Schaffenskrise paart.
Ein Ausschnitt im Leben eines großen Autors, dem zunächst die Anerkennung verwehrt bleibt und der sich mit einer großen Krise rumschlagen muss – bezeichnend, dass diese Niederschlag in einem seiner größten Romane – „Tender is the Night“ – Niederschlag findet und dies heute als sein eigentliches Hauptwerk neben dem Gatsby betrachtet wird. Keinen schönen Einblick erhält man in den Charakter und das Verhalten Fitzgeralds, alle Allüren und Attitüden eines Künstlers offenbart er bei gleichzeitiger Vernachlässigung seiner Kunst, was schade ist, denn  er hätte sicher noch mehr tolle Geschichten zu Papier bringen können.

Fazit: ein kurzes Büchlein, das nur andeuten kann, was für ein Mensch sich sich hinter dem großen Autorennamen verbarg.