Naoise Dolan – Aufregende Zeiten

Naoise Dolan – Aufregende Zeiten

Nach dem Studium flüchtet Ava aus Dublin nach Hongkong, wo sie einen Job als Englischlehrerin annimmt. Was sie in ihrem Leben tun will, davon hat sie keinen Plan, ganz anders als Julian, der als Banker fest im Leben zu stehen scheint. Bald zieht sie bei ihm ein, von einer klassischen Beziehung kann jedoch keine Rede sein. Sie wohnt im Gästezimmer, was die beiden jedoch nicht von gemeinsamen Nächten abhält. Sie sind ein ungewöhnliches Paar, zwischen Nähe und Distanz, immer darauf bedacht, keine rote Linie des anderen zu übertreten, jedes Wort auf die Goldwaage legend und doch vermissen sie sich, wenn Julian auf Geschäftsreisen ist. Während einer solchen lernt Ava Edith kennen, die so anders ist, sich wirklich für Ava interessiert und alles von ihr wissen möchte. Zunehmend lässt Ava sie in ihr Leben, auch wenn ihr das Interesse und bald auch die Zuneigung der Juristin komisch vorkommen. Aber womöglich hat sie nur noch nie die Erfahrung von Liebe gemacht.

Unweigerlich ist man bei Naoise Dolans Debütroman auch an eine andere irische Autorin erinnert, die in den letzten Jahren für Furore gesorgt hat. Ebenso wie Sally Rooney schreibt Dolan über eine Generation von stark verunsicherten jungen Menschen, die sich nichts mehr als funktionierende Beziehungen wünschen, aber selbst mit dem passenden Partner eher einen gemeinsamen Tanz voller Verunsicherung aufführen, als sich gelassen dem hinzugeben, was geschieht.

Ava ist die Personifizierung des Twentysomething: sie wirkt unabhängig und willensstark nach außen, ihr Leben findet gleichermaßen online wie offline statt, Image muss immer in beiden Versionen des Lebens mitgedacht werden. Freundschaften drücken sich mehr durch die Likes und Klicks aus denn durch das gemeinsame Erleben. Gedanklich steckt sie derweil in endlosen Spiralen des Überdenkens fest, Spontaneität gibt es nicht mehr, da Worte Folgen haben und jede mögliche Deutung antizipiert werden muss, bevor es dann doch zu spät ist, noch auf etwas zu reagieren. Ironie und Zynismus gehören zum Kommunikationsrepertoire, sind jedoch gleichzeitig mit für die Distanzierung von den anderen verantwortlich, die die Figuren einsam macht.

Einerseits ist die 22-Jährige nicht immer leicht auszuhalten, man wünscht ihr eine gute Portion naive Sorglosigkeit, um frei von den Gedanken zu sein und das Leben genießen zu können. Andererseits hat ihr analytischer Verstand jedoch auf einer ganz anderen Ebene wiederum einen großen Reiz. Sprache dient ihr nicht nur als Mitteilungsmedium für Inhalte, sondern markiert auch Klasse. Sie als Irin mit bescheidenem Hintergrund unterscheidet sich dramatisch von Julian, der Eton und Oxford besuchte und mit seinem Job im Finanzsektor auch finanziell zum oberen gesellschaftlichen Ende zählt. Beide wiederum gehören als Expats des ehemaligen Kolonialherren in Hongkong zur Oberschicht, die in einer Parallelwelt lebt und nur im Dienstleistungsbereich Berührungspunkte mit den Einheimischen hat. So kommt es auch, dass die dramatischen politischen Ereignisse der Umbrella Bewegung vor Avas Tür stattfinden, ohne dass sie ernsthaft davon Notiz nehmen würde. Sie kann jedoch auch jederzeit das Land verlassen, irgendwo hingehen, wo sie ganz selbstverständlich alle Rechte in Anspruch nehmen kann. Sensibilität scheint nur in Bezug auf die eigene Person angezeigt, dann jedoch gleich in übersteigerten Maßen.

Avas Angst vor Zurückweisung, dem immerwährenden Gefühl nicht zu genügen, folgt eine Distanziertheit, die man auch als Leser spürt. Es fällt nicht leicht, Sympathie mit ihr zu empfinden und sich ihr zu nähern. Als Figur kann sie so überzeugen, ich hätte mir jedoch eine größere emotionale Eingebundenheit gewünscht.

Eine pointierte und scharfe Analyse einer Generation, deren globale Vernetzung nicht zu mehr Nähe, sondern zum genauen Gegenteil führt und deren Leben nur dann stattgefunden hat, wenn es auch mit schönen Bildchen dokumentiert und von möglichst vielen geliked wurde.

Yiyun Li – Dear Friend, From My Life I Write To You In Your Life

yiyun-li-dear-friend.png
Yiyun Li – Dear Friend, From My Life I Write To You In Your Life

Yiyun Li has spent two years writing her essay which appeared in the collection I write to you in your life. Topics which affected her as a writer as well as her as a Chinese woman living and working in America. Yet, it is not only theoretical essays on different subjects such as suicide, the role of writers, connection between language and identity etc., it is much more a kind of biography, a very personal insight into Yiyun Li’s thoughts and feelings.

Some of her thoughts I found not only remarkable, but they gave me a lot of food for thought. E.g. when she writes that she does not trust her past since her memory could be tainted. It is true, we cannot have something like a neutral remembrance, it is all within. The co text of what was before and what came after. At times, big catastrophes which seem to destroy our lives are considered just minor events a couple of months or years later. So we do not keep the memory of that specific moment but the classification made afterwards.

She also explains the title which is actually a quote from Katherine Mansfield‘ notebooks. At first, I was wondering about the idea, but slowly I could understand what she was referring to. Of course, as a writer, you aim at entering somebody’s life, at being important and relevant for a reader. You also might write to express yourself, but what worth does it have to write something which neither read by anybody nor relevant for anybody?

Her analysis of suicide comes to a convincing conclusion: one never kills oneself from knowledge or understanding, but always out of feelings.“ (Position480). Since those feelings can never be fully felt by somebody else, so who are we to judge suicide? No matter the individual explanation, it is the person’s decision which has to be accepted.

When she reads in other writers‘ notes, she has the feeling of entering into conversation with them. She enters into others‘ lives, follows their train of thoughts and in this ways advances herself. Since you can never trust what somebody writes, you can at least build a broader picture of the writer since you can never write without also offering something of yourself

Her most interesting aspect for me, however, was the thoughts on the impact of the language. Yiyun Li writes in English which is not her mother tongue. Yet, this is quite natural for her, she rejects writing in Chinese and does not feel limited by her capacities in English. It is also her relationship with China that forbids her writing in Chinese.

All in all, I have the impression of a very personal book which wants to enter into conversation with the reader. It does not provide definite answers to anything, it raises many questions and thus enters into conversation with you.

 

Christoph Ransmayr – Cox oder Der Lauf der Zeit

christoph-ransmayr-cox
Christoph Ransmayr – Cox oder Der Lauf der Zeit

Uhrmacher Alister Cox leidet nach dem Tod seiner geliebten Tochter. Als ihn der Kaiser von China bittet, an seinem Hof Uhren zu bauen, nimmt er den Auftrag an und macht sich mit seinen Gehilfen auf den langen Seeweg. Angekommen im großen Reich, warten sie tagelang auf die erste Begegnung mit dem Herrscher über 10.000 Jahre und müssen zunächst auf das Zeremoniell vorbereitet werden. Das Treffen verläuft anders als geplant, aber Cox weiß, was sich der Kaiser wünscht und macht sich an den Bau einer Maschine, die nicht nur den Lauf der Zeit, sondern auch die Endlichkeit anzeigen kann.

Der Autor selbst hat das Hörbuch eingesprochen, was schon eher ungewöhnlich ist, aber diesem Roman, der von großen Bildern und prächtigen Beschreibungen lebt, guttut. Das fremde Land im fernen Osten erstaunt die englischen Besucher, die aus ihrer Heimat Zeremoniell durchaus gewohnt sind. Doch die intensiven Vorbereitungen und Vorgaben bzgl. der Begegnung mit dem Kaiser sind schon eine ganz besondere Erfahrung. Umso erstaunlicher dann das tatsächliche Zusammentreffen. Am interessantesten fand ich die Beschreibung des Ausflugs an die chinesische Mauer. Reisen im 18. Jahrhundert war einfach eine andere Angelegenheit und diese Episode lässt vor allem die strenge Hierarchie des Kaiserreichs hervortreten.

Der Roman kann nicht mit großer Handlung aufwarten. In weiten Teilen sitzen die Uhrmacher in der verbotenen Stadt und warten ab. Die ausufernden Beschreibungen und die Detailverliebtheit des Autors sind die großen Stärken des Romans, neben den fein dosierten und intelligent eingesetzten kleinen Unterschieden zwischen den beiden Kulturen, die immer wieder Konfliktpotenzial aufweisen.