John le Carré – Silverview

John le Carré – Silverview

Julian Lawndsley hat seinen stressigen Job in London aufgegeben, um in einem kleinen englischen Küstenort eine Buchhandlung zu eröffnen, auch wenn er bislang nur wenig Erfahrung in diesem Bereich hat. Eines Abends kommt ein ungewöhnlicher Kunde in seinen Laden, der auf dem nahegelegenen Herrschaftssitz Silverview wohnt und sich als Jugendfreund von Julians Vater vorstellt. Mit Ratschlägen will er den Neubuchhändler unterstützen, der nicht sicher ist, was er von Edward Avon halten soll. Sein Vater hatte ihn nie erwähnt, aber er scheint bestens informiert über Julians Familie und da Edwards Frau schwerkrank ist, will er den älteren Herren auch nicht gleich der Lüge bezichtigen. Zur selben Zeit klingeln bei den Geheimdiensten alle Alarmglocken, eine undichte Stelle weist auf den kleinen Küstenort und setzt eine Maschinerie von Agenten in Gang.

„Silverview“ ist der letzte Roman des großen britischen Krimiautors, der selbst für die Geheimdienste gearbeitet hat und immer wieder sein Insiderwissen geschickt für seine Romane einsetzte. John le Carré bleibt auch in diesem Krimi dem Stil treu, den man von seinen letzten Geschichten kennt. Es ist nicht mehr der Agent in Action, der zwischen die Fronten gerät und selbst den eigenen Leuten nicht trauen kann, sondern eine komplexe Hintergrundgeschichte, die sich erst langsam enthüllt und vor allem von dem erzählerischen Geschickt des Autors lebt.

Julian ist offenkundig ein unschuldiger Zivilist, der die Bitten des älteren Herren nicht wirklich abschlagen kann und so in die Handlungen verstrickt wird, die er nicht mehr abschätzen oder gar stoppen kann. Dass er sich in Edwards Tochter verliebt, ist geradezu klassisch und geschieht dezent nebenbei. Man hat es mit distinguierten und höchst zivilisierten Menschen zu tun, deren kriminelles Potenzial woanders liegt.

Als geübter le Carré Leser weiß man, dass man den harmlosen Figuren genauso wenig trauen darf wie den offenkundig verdächtigen. Mit feinem Humor präsentiert der Brite dann auch eine Spionagegeschichte in Reinform, die sich vor aller Augen und doch im Verborgenen abspielt und aus dem netten, freundlichen Nachbarn plötzlich einen ganz großen Player im globalen Spiel der Mächte macht. All das geschieht ohne moderne Technik auf herrlich klassische Weise mit Briefen, die heimlich überbracht werden, und konspirativen Verabredungen an öffentlichen Orten.

Mit dem Roman taucht man ein wenig ab in eine längst vergangene Zeit und kann noch einmal einen großen Autor erleben. Und wieder einmal reißt dieser die großen Fragen auf, nämlich danach, wo letztlich die Loyalitäten liegen, wie weit Integrität geht und wo schlicht Menschlichkeit über strategische Überlegungen siegt. Vielleicht nicht der größte Roman le Carrés, aber auf jeden Fall ein würdiger Abschied.

Ingo Schulze – Die rechtschaffenen Mörder

Ingo Schulze – Die rechtschaffenen Mörder

Als Kind schon entdeckt Norbert Paulini die Literatur. Es ist der Nachlass seiner früh verstorbenen Mutter, die einst ein Antiquariat in Dresden eröffnete und dessen Bestände in die Hände des Jungen fielen. Er will einmal Leser werden, nicht mehr und nicht weniger und so kommt es 1977 nach einigen Umwegen zur Wiederöffnung des mütterlichen Antiquariats. Von überall aus der DDR her strömen die Menschen zu dem Sonderling, der alles über seine Schätze weiß, auch Frauen zieht er an, aber die Richtige will nicht dabei sein. Mit der Wende kommt auch für ihn ein Einschnitt und die Zeiten meinen es nicht gut mit ihm. Tapfer versucht er noch durchzuhalten oder wenigstens sein Dasein als Leser fortzuführen. Doch irgendwann wird alles zu viel.

„(…) verdienten erheblich mehr als er. Dafür war Norbert Paulini sein eigener Herr. Er lebte und handelte ausschließlich mit jenen Büchern, die ihn interessierten, und brauchte sich nicht mit Schul- und Kochbüchern, Steuerratgebern und Verkehrsatlanten herumzuschlagen. Was gingen ihn diese Dinge an? Er sah keinen Grund, von seinem Beruf Abstand zu nehmen.“

Ein Leben für die Literatur, nicht studiert und analysiert, sondern entdeckt und genossen, eigenständig durchgewühlt, sich die Welt der Autoren erarbeitet. Die Bücher als Türen zu einer anderen, größeren Welt verstehen, sich in ihnen verlieren und sie am liebsten alle behalten wollen – welcher Leser kennt nicht diese Träume? Das Dasein als Antiquar schmerzt Paulini, mitanzusehen, wie sich Menschen leichtfertig von diesen Schätzen trennen und wie auch er sie weiterverkaufen muss, wo er sie doch am liebsten alle unter seinem Dach beheimaten würde. Der Roman ist zunächst eine Hommage an die Bibliophilen, die mehr zwischen den gedruckten Seiten leben als in der Realität.

Doch die Zeichen der Zeit finden auch Eingang in die Geschichte und gänzlich kann Paulini die Welt vor seiner Tür nicht ignorieren. Der zweite und dritte Teil der Handlung schlagen daher einen gänzlich anderen Ton an, der zwar zu dem Niedergang – rein wirtschaftlich wie auch moralisch und mental – des Protagonisten passt, aber das Gesamtwerk irgendwie unfertig wirken lässt. Der Blickwinkel wird verschoben, es hat nun ein Autor namens Schultze das Wort, der über diesen Dresdner Sonderling schreibt, bevor wiederum dessen Lektorin auf Spurensuche in die Elbestadt reist.

Ich kann die Konstruktion als literarischen Kniff von Erzählung in der Erzählung und Doppelbödigkeit, um die Fiktion der Literatur nochmals zu unterstreichen, akzeptieren, aber leider wird alles für mich nicht rund, sondern wirkt holprig. Die Kapitalismuskritik ist angekommen, aber vielleicht wäre eine starke Figurenzeichnung und fiktive Biografie schlicht genug gewesen, der erhobene Zeigefinger erscheint schlicht zu sehr gewollt.

Caroline Kepnes – YOU – Du wirst mich lieben

caroline-kepnes-you-du-wirst-mich-lieben
Caroline Kepnes – YOU – Du wirst mich lieben

Als sie seine Buchhandlung betritt, ist es um Joe Goldberg geschehen. Doch Guinevere Beck, die alle nur mit ihrem Nachnamen anreden, hat Amors Pfeil nicht so tief getroffen, weshalb er ein wenig nachhelfen muss. Erst beobachtet er die Studentin nur, dann nutzt er eine Gelegenheit, um mit ihr wieder in Kontakt zu treten. Nun sitzt sie in der Falle. Beck entwickelt tatsächlich Gefühle für ihn, aber andere Dinge, vor allem andere Männer, beschäftigen sie ebenfalls. Also muss Joe diese nach und nach aus dem Weg räumen. Den anderen Typen, die Freundin, den Therapeuten. Da er ihre Mails mitliest, ist er ihr immer einen Schritt voraus und er ist sich sicher, sie wird am Ende schon erkennen, was gut für sie ist.

Die Geschichte um den besessenen Bücherfreak, der eine junge Frau stalkt, um sie für sich zu gewinnen, klingt in der Grundanlage spannend. Tatsächlich fand ich den Anfang auch sehr überzeugend, die Dialoge sind hier lebendig und Joes Verhalten zwar übergriffig, aber doch nachvollziehbar. Es ist offenkundig, dass er sich zum Psychopaten entwickeln wird und die Situation sich zuspitzen muss, aber dies geschieht nur mit sehr vielen Schleifen und Längen, was leider der Spannung nicht zuträglich ist.

Natürlich ist Joe besessen und krank, die Leichtigkeit, mit der er mordet, ist ohne Frage auch jenseits des normalen Verhaltensrahmens. Allerdings sind die anderen Figuren auch weit davon entfernt, was zum Teil aber auch an der nicht ganz stimmigen Figurenzeichnung liegt. Vor allem Beck ist in sich nicht glaubwürdig, von der talentierten und ehrgeizigen Studentin, die ein Stipendium für eine der besten Universitäten erhalten hat, ist gar nichts zu spüren. Sie ist dümmlich, naiv, völlig desinteressiert an ihrem Studium und scheint außer für den nächsten Mann, den sie aufreißen kann, keine Gedanken zu haben. Auch ihren Freundinnen rangieren in jeder Hinsicht auf dem geistigen Niveau von 13-Jährigen Dorfproletinnen, was den wohlhabenden und intellektuellen Hintergrund, den sie angeblich haben, in keiner Weise widerspiegelt.

Das ewige Hin und Her zwischen Joe und Beck, die ja irgendwie mag, aber dann doch nicht, soll vermeintlich das große Finale hinauszögern und die Spannung steigern. Allerdings wird es irgendwann sehr müßig herauszufinden, warum Beck jetzt gerade doch wieder nicht will oder was ihre Freundin ihr nun serviert. Die Schleife ist leider auch so wiederholend und vorhersehbar, dass keinerlei Überraschung kommt. Joes Informationsbeschaffung und Überwachungssystem ist clever, auch sein Charakter in sich völlig stimmig – aber das ist zu wenig, um den ganzen Roman durch zu tragen.