Volker Jarck – Sieben Richtige

Volker Jarck – Sieben Richtige

Das ganz normale Leben zwischen Bochum und Köln, wie es eben so spielt mit seinen Zufällen. Die Ehe von Marie und Victor ist am Ende, ihr Sohn Nick lebt inzwischen in den USA und nach der Krebs-Diagnose zieht es Marie weg aus dem Ruhrgebiet zu ihrer Schwester an den Rhein. Ihre Nachbarn durchleben derweil im Sommer 2018 den größten Alptraum aller Eltern: ihre Tochter Greta wird durch einen übermütigen Raser lebensgefährlich verletzt. Im Krankenhaus arbeitet die Pflegerin Lucia, die ebenfalls eine schreckliche Nachricht erhält: ihr Vater starb durch einen Wespenstich an einer Autobahnraststätte; er war gerade dabei die Möbel der Autorin Eva Winter zu deren neuer Wohnung in Köln zu transportieren. Diese hat sie kurzfristig bekommen, da die Vormieterin Linda mit ihrem neuen Freund Tim zusammengezogen ist, beide waren einst Schüler von Victor, der seinerseits während seine Studiums von einer gemeinsamen Zukunft mit Eva träumte. Der Kreis schließt sich und die Uhr dreht sich unermüdlich weiter.

„Sieben Richtige“ – quasi der Sechser im Lotto plus Zusatzzahl, ein statistisch unwahrscheinliches Zusammentreffen der richtigen Zahlen im richtigen Moment, das aber dennoch regelmäßig vorkommt. Genauso verhält es sich mit den Begegnungen der Figuren in Volker Jarcks Roman. Nach vielen Jahren als Lektor hat er sich auf die andere Seite des Schreibens gewagt und das mit überzeugendem Ergebnis. Die Geschichten der einzelnen Figuren greifen immer wieder ineinander, sind verwoben und stoßen sich gegenseitig an und werden so zu einem stimmigen Ganzen.

Völlig lose voneinander erscheinen die Erzählungen zunächst, erst im Laufe der Handlung werden die vielfältigen Beziehungen deutlich, die es nicht nur 2018 gibt, sondern auch schon Jahrzehnte zuvor und ebenso viele danach geben wird. Sie sind Geliebte, Partner, Lehrer, Schüler, Nachbarn, Freunde, Ex-Partner, Kinder – in unterschiedlichen Konstellationen treffen wir sie an, mal heiter, mal traurig, beschwingt vom Moment des Glücks, am Verzweifeln ob der sich abspielenden Tragödie. Immer neue Verbindungen werden geschaffen und so einsteht eine kleine Welt in der großen, in der Gegenwart wie in Vergangenheit und Zukunft.

Für jede einzelne Figur sind es große Ereignisse, tatsächlich aber gibt es im Roman nicht die eine weltverändernde Begebenheit; die Geschichte lebt von der Normalität, in die sich jedoch der unglaubliche Zufall einschleicht, so wie er das tagtäglich überall tut. Vor allem das Ineinanderspielen der einzelnen Episoden fasziniert, macht das sichtbar, was Stanley Milgram einst als „Kleine-Welt-Phänomen“ bezeichnete: dass zwei unbekannte Menschen über 6-7 Personen miteinander verbunden sind.

Sprachlich routiniert erzählt mit kleinen, aber feinen Ausreißern nach oben (die Wespe!), ein Roman zum Aufschlagen und einfach nur genießen.

Peter Swanson – Before She Knew Him

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Peter Swanson – Before She Knew Him

Hen and Lloyd have left busy Boston for a quieter place to live and where Hen can do her art work in a real artist’s workshop. Their neighbours Matthew and Mira seem to be nice, but the dinner Hen and Lloyd are invited to takes a strange turn when Hen during the tour of the house sees something she shouldn’t see. She does not want to believe her eyes, but it has been there and there is just one simple explanation to it: her neighbour Matthew is a killer. But who would believe her, the woman with a history of false accusations and a diagnose of bipolar disorder? Well, Matthew believes her and confirms her suspicion – sure that she cannot threaten him in her position…

Peter Swanson’s novel is a thrilling read that does not play to the normal rules of the genre. We quickly figure out that Matthew is a serial killer, since we get also his side of the story, it doesn’t take too long to sort this out. But then just a third of novel is over, so what is there more to come? A lot and very unexpected turns.

Even though the focus of the story is shifted again and again, each part of the novel has its own thrills. In the beginning, it is the fight between Matthew and Hen, who is stronger, who will win? This is the part I liked most since here the thrill is at its peak. This doesn’t mean that the rest is lacking suspense, it doesn’t at all. Swanson really could surprise me and I was wondering constantly if this could be true: people living with the knowledge of murders but keeping silent.

All in all, a psychological thriller full of suspense and surprising developments.

Hala Alyan – Häuser aus Sand

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Hala Alyan – Häuser aus Sand

In Jaffa ist sie aufgewachsen, doch sie wurden vertrieben und so wird Nablus die neue Heimat für Salma und ihre Familie. Ihre Kinder könnten kaum verschiedener sein, die in sich gekehrte Widad und die beiden modernen, lebhaften Mustafa und Alia. Kurz vor Alias Hochzeit liest Salma im Kaffeesatz und weiß, dass ihrer Tochter ein bewegtes Leben bevorsteht. Die Vorhersehung wird sich bewahrheiten, Alia, die den besten Freund ihres Bruders, Atef, heiratet, wird mit ihm und den Kindern Riham, Karam und Souad immer wieder von Neuem beginnen, vor Krieg flüchten und das Leben in einem anderen Land neuordnen müssen. Auch ihre Kinder werden in gewisser Weise zu Nomaden werden und Alias Enkel werden schließlich vor all den Einflüssen und Kulturen, der unterschiedlichsten Länder, in denen sie gelebt haben, kaum mehr wissen, wo sich ihre Wurzeln befinden.

Hala Alyan hat in ihrem Debut Roman einer Familie eine Stimme gegeben, deren Geschichte jedoch typisch ist für die vieler aus dem Nahen Osten. Über Generationen immer weiter über die Erdteile zerstreut, wegen Krieg und Vertreibung zu Flucht und Neubeginn in der Fremde gezwungen und mit jeder Generation ein Stück weiter vom eigentlichen Ursprung entfernt.

Der Aufbau des Buches hat mir unheimlich gut gefallen, es ist nicht nur die Geschichte Alias, auch wenn sie Dreh- und Angelpunkt der Handlung bleibt. Wir erleben mehrere Generationen: Kinder, die andere Werte und Ideale als die Eltern vertreten, sich entfernen und doch immer wieder zueinander finden. Es sind immer nur Momentaufnahmen, dazwischen fehlt vieles, aber das ist nicht wichtig, es ist der Moment, der zählt.

Neben der Geschichte der Familie ist der Roman auch hochpolitisch – politische Entscheidungen sind es, die die Yacoubs immer wieder vertreiben: aus Jaffa, aus Nablus, aus Kuweit, aus den USA, aus dem Libanon. Aber es sind nicht diese politischen Entwicklungen, die thematisiert werden, sondern ihre Auswirkungen auf die Menschen, das erzwungene Nomadentum, die Entwurzelung, der Sprachenmischmasch, der zwangsweise über die verschiedenen Wohnorte und Lebensläufe entsteht und die Kommunikation schon zwischen Großeltern und Enkeln erschwert. Der Roman ist keine Anklage, eher ein Zeugnis, das mahnend dasteht und für sich selbst spricht.

Als Manar am Ende wieder in Jaffa steht, dem Sehnsuchtsort ihrer Ur-Großmutter und eine Verbindung spürt, die sie nicht einordnen und schon gar nicht mit ihrer Familiengeschichte in Zusammenhang bringen kann, schließt sich der Kreis. Ein rundes Buch mit starken Figuren und überzeugend vor dem Hintergrund der Geschichte des Nahen Ostens der letzten Jahrzehnte erzählt.

Richard Lawson – All we can do is wait

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Richard Lawson – All we can do is wait

An awful accident brings a bunch of teenager together in the waiting area of a hospital: a Boston bridge collapsed during busy traffic and now they are waiting for news. Scott is afraid that his girlfriend Aimee might be amongst the dead. Skyler was on the telephone with her sister when Kate suddenly broke away. Jason and Alex fear the worst about their parents who were on the way to Alexa’s school. And Morgan already knows that her father is not alive anymore. While they are condemned to wait in the sterile area without any information, they all recall the last couple of months, what they went through with the loved ones, the good sides and the bad ones. But sharing this feeling of utmost anxiety also brings out things which were long buried and in the morning, they are not the same anymore.

“All we can do is wait” has the classic drama setting: all characters in one place, waiting for the moment when they are either relieved or their biggest fear is confirmed. There is nothing they can do to change the situation, they have to sit and wait for the verdict. No matter what they wish or pray for, their fate is already sealed but they do not know about it.

Richard Lawson makes his young protagonists alternate in the narration. Each chapter is dedicated to one of them and slowly their lives unfold. Thus, we are not constantly in the situation of extreme stress in the waiting room, but look back also on happy moments full of joy and love. But the sword of Damocles of looming over them all the time and inevitable we return to the hospital.

The story is full of emotion, positive and negative ones, and the author created authentic and lovable characters who are credible in their fears and hopes. They already show whom they are going to be in a couple of years and yet, they are still adolescents with great hopes and wishes. Apart from this, there is obviously a lot of suspense because you just want to know what happened to their friends, sister and parents. This just makes you read on and on and on. I really loved the novel even though it is a rather melancholy story that is told.