Alexandra Riedel – Sonne, Mond, Zinn

Alexandra Riedel – Sonne, Mond, Zinn

Gustav Zinn erhält einen Anruf, mit dem er nicht gerechnet hat. Sein Großvater ist gestorben und die Witwe lädt ihn zur Beerdigung ein. Nie hatte er Kontakt zu dem Mann, ebenso wie seine Mutter Esther, die als uneheliches Kind kurz nach dem Krieg geboren wurde und zeitlebens als Bastard betrachtet wurde. Gustav kommt schon früh zur Trauerhalle, wo Anton Hamann aufgebahrt wird, bei der Familie will er nicht sitzen, zu dieser gehört er ja nicht, doch dem anschließenden Leichenschmaus kann er sich nicht entziehen. Auch nicht den Erinnerungen und Erzählungen, den Fotografien aus einem Leben, die jedoch einen wichtigen Teil ausklammern, weil dieser nicht sein durfte. Akribisch beobachtet Gustav, nimmt wahr und berichtet der abwesenden Mutter.

„Man habe sich hier und heute versammelt, um Abschied zu nehmen von Anton Hamann. Er hinterlasse seine Frau Isolde Hamann, seinen Bruder Baldur Hamann, die Söhne Ulrich und Anselm Hamann sowie die Schwiegertochter Susanne Hamann. Ich hörte Namen und Bezeichnungen, von dir aber keine Silbe. Hätte ich damit rechnen sollen?“

Alexandra Riedels Debütroman, für welchen Sie mit dem Bayern2-Wortspiel-Preis ausgezeichnet wurde, beschreibt die schwierigen Verhältnisse einer Familie, die keine ist. Er spiegelt damit auch den Geist einer Zeit, der durch rigide Ansichten und gesellschaftliche Ächtung für alle, die nicht ins die vorgegebenen Schemata passten, geprägt war. Durch dieses Nicht-Dazugehören stellt die Autorin jedoch auch die Frage, was denn in der Figur Gustav von dem gerade Verstorbenen steckt, wie sehr können Gene prägen bei Abwesenheit? Ist da mehr als nur das Grübchen?

Der Titel ist eine Anspielung an das Observatorium, das Anton Hamann leitete. Die Sonne, der Mond und die Gestirne hatten es ihm angetan und dort konnte er auch heimliche Stunden mit seiner Tochter verbringen, ein Stern, den er eigentlich nur aus der Ferne beäugen konnte. In der Realität lebte sie in einer anderen Galaxie. Die Sehnsucht nach Ferne und Weite des Himmels jedoch hat sie an den Sohn weitergegeben, der sich nichts anderes im Leben vorstellen kann als seinen Job im Tower eines Flughafen einer Insel, wo nicht die Menschen, sondern die Naturgewalten den Takt bestimmen.

Der Roman überzeugt doch brillante Analogien und Metaphern und reicht trotz der Kürze in Tiefen, die viele lange Werke vermissen lassen.

Zsuzsa Bánk – Sterben im Sommer

Zsuzsa Bánk – Sterben im Sommer

Als sie im Januar die Diagnose bekommen, dass der Krebs zurückgekehrt ist, wollen sie den Sommer noch einmal in Ungarn verbringen. Dem Land, aus dem die Eltern 1956 geflohen waren und das doch immer sommerlicher Sehnsuchtsort geblieben ist. Die Erinnerungen an heiße, fröhliche, unbeschwerte Sommer kommen wieder hoch, doch der Vater schafft es nicht, zu krank ist er und wird im Drei-Länder-Eck zwischen Slowakei, Österreich und Ungarn von Krankenhaus zu Krankenhaus gebracht. Die letzten Tage in der Klinik, die Onkologie ist die letzte Station vor – ja vor was? Dem Hospiz? Aber ist das nicht schon aufgeben?

Die Autorin schildert den heißen Jahrhundertsommer 2018, der sich ihr vor allem wegen des Verlusts des Vaters eingebrannt hat. Langsam zeichnet sich über Monate ab, was unausweichlich ist und dennoch ist sie emotional nicht vorbereitet auf das, was sie erlebt. Zwischen Erinnerungen an die gemeinsame Zeit und den bürokratischen Hürden der letzten Tage oszilliert der Bericht und fängt die emotionale Achterbahn der Tochter ein.

Was kann man über ein so persönliches Buch sagen? Es erschien mir sehr authentisch, gerade in der Schilderung der gleichzeitig auftretenden, widersprüchlichen Empfindungen. Zwischen großer Zuneigung, die sich aus den Kindheitstagen und vor allem den Sommern am Balaton speist, Angst vor dem, was kommt, Wut auf die Bürokratie, die Unmenschliches verlangt und so fast zynisch macht, Trauer, die schon einsetzt, als der Vater noch lebt, und der Verzweiflung, jetzt weiterleben zu müssen mit dieser Lücke, die da gerissen wurde.

„Aber das Leben geht überhaupt nicht weiter, nein, es bleibt auch nicht stehen, es steht einfach nur herum, das trifft es mehr. Es wird zu einer schwachen Kopie seiner selbst, blass und leer,“

Eine literarische Verarbeitung der Trauer, die gar nicht die großen Fragen nach dem Dasein aufreißt, sondern durch die kleinen Banalitäten des Alltags, die sich plötzlich als große Hürden auftun, überzeugt. Und am Ende kommt ein neuer Sommer, der nicht ist, wie die davor, aber eben auch ein Sommer ist.

Anders de la Motte – Winterfeuernacht

anders-de-la-motte-Winterfeuernacht
Anders de la Motte – Winterfeuernacht

Der Tod ihrer geliebten Tante Hedda führt Laura an jenen Ort zurück, der sie für ihr Leben gezeichnet hat und ihr jahrelange Alpträume bescherte. Dreißig Jahre ist die Luciafeier inzwischen her, die sie zusammen mit ihren Freunden damals beging und bei der ein Feuer ausbrach, das Lauras Rücken für immer zeichnete und ihre beste Freundin Iben das Leben kostete. Mit Tomas hatte man schnell einen Verantwortlichen und Laura war nie mehr in das Feriendorf in Gärdsnäset zurückgekehrt. Jetzt will sie auch nur die Beerdigung organisieren und den Nachlass regeln. Womit sie nicht rechnet, ist, was der Besuch in ihr auslöst – und wie die Menschen auf sie reagieren. Mit ihrer überhasteten Flucht drei Jahrzehnte zuvor blieben auch noch Fragen offen, die Laura nun beantworten muss.

Ähnlich wie auch „Sommernachtstod“ erzählt Anders de la Motte „Winterfeuernacht“ auf zwei Zeitebenen, die die Geschehnisse der Vergangenheit mit den aktuellen Ereignissen verknüpfen. Hierdurch wird zwar immer wieder etwas Tempo herausgenommen, gleichzeitig werden die Geschichte und die Charaktere der Figuren jedoch tiefgründiger. So entsteht ein Kriminalroman, der nicht durch nervenzerreißende Spannung, sondern mehr durch eine gute Geschichte punktet.

Auch wenn die Auflösung mich nicht ganz überzeugen konnte und vor dem Hintergrund von Lauras spezifischen psychologischen Fähigkeiten nicht ganz stimmig wirkt, hat mich die Story überzeugen können. Viele gut gehütete Geheimnisse werden nach und nach entlarvt und liefern neue Spekulationsgrundlagen darüber, was im Jahr 1987 tatsächlich geschehen war. Die Protagonistin gerät nach unerklärlichen Zwischenfällen in den Fokus von Ermittlungen und wird gleichzeitig zum Ziel von Angriffen, was die Spannung immer wieder befeuert.

Ein Krimi eher der Sorte Geschichte mit Spannungselementen, was jedoch keineswegs negativ zu verstehen ist.