Flynn Berry – Northern Spy

Flynn Berry – Northern Spy

Ein bewaffneter Überfall ist in Nordirland nichts Ungewöhnliches. Doch als die Journalistin Tessa die Aufnahmen des Vorfalls sieht, traut sie ihren Augen kaum: einer der Täter ist ihre Schwester Marian. Das kann nicht sein. Die Rettungssanitäterin kämpft für Menschenleben und würde sie nie riskieren. Und schon gar nicht ist sie Mitglied der IRA. Doch Tessa muss erkennen, dass sie nur eine Seite von Marian kannte und diese ihr eine andere offenbar über Jahre erfolgreich verschwiegen hat. Die junge Mutter wird vor eine schwere Entscheidung zwischen Familie und Idealen gestellt, die sie und ihren Sohn in größte Gefahr bringen.

Für ihren Debütroman wurde die amerikanische Autorin Flynn Berry mit dem Edgar Award ausgezeichnet, dem bedeutendsten Preis für Kriminalromane. „Northern Spy“ ist ihr dritter Roman, der geschickt die politische Lage in Nordirland mit der persönlichen Geschichte der zwei Schwestern verbindet.

Niemand ist unpolitisch in Nordirland. Selbst wenn man sich nicht positionieren will, hat man doch gewisse Pubs, die man besucht, und ein Umfeld, dass klar der einen oder anderen Seite zuzuordnen ist. Neutralität gibt es nicht, auch wenn Tessa und ihre Familie das lange Zeit glauben. Mit dem Überfall und der zweifelsfreien Zuordnung von Marian zur IRA scheinen sowieso alle Fragen beantwortet. Auch die Folgen bekommen Tessa und ihre Mutter unmittelbar zu spüren, nicht nur die Befragung durch die Polizei, sondern auch die beruflichen Konsequenzen, die sie für das Handeln Marians tragen müssen, lassen sie für das Handeln Marians bezahlen.

Die Autorin bietet einige Überraschungen, die jedoch immer auch einen Funken Zweifel mit sich schwingen lassen. Sagen die Figuren die Wahrheit oder spielen sie doch nur eine Rolle? Zwischen Freund und Feind, Agent und Doppelagent scheint lange alles möglich.

Ein spannungsreicher Krimi, der mehr auf der persönlichen Ebene als auf der politischen spielt. Der Konflikt zwischen den katholischen Nordiren und den englischen Besatzern liefert nur die Kulisse und wird durch das persönliche Schicksal überlagert. Daher sicher kein politischer Roman, sondern eher einer, der psychologisch von den Figuren viel abverlangt.

Karine Tuil – La décision [Die Entscheidung]

Karine Tuil – La décision

Alma Revel ist Ermittlungsrichterin bei der Pariser Terroreinheit. Nach den Anschlägen 2015 ist die Lage dauerhaft angespannt und die Ermittler stehen unter enormem Druck von der Presse und der Öffentlichkeit. Der Fall eines jungen Mannes, der mit seiner Freundin nach Syrien gereist war, um sich dem IS anzuschließen und der nun zurück in Frankreich ist, stellt sie vor eine Zerreißprobe. Verteidiger des Mannes ist ausgerechnet jener Anwalt, mit dem sie seit Monaten eine Affäre hat. Er argumentiert, dass man dem Angeklagten keine konkrete Tat oder Tatbericht nachweisen kann, er beteuert auch seine Läuterung, aber kann Alma das glauben? Sie muss eine Entscheidung treffen, die im schlimmsten Fall das ganze Land gefährdet oder aber das Leben eines Unschuldigen zerstört.

« Dans le cadre de mes fonctions de juge antiterroriste, j’ai pris une décision qui m’a semblé juste mais qui a eu des conséquences dramatiques. Pour moi, ma famille. Pour mon pays. »

Karine Tuil stellt ihre Protagonistin in „La décision“ gleich auf mehreren Ebenen vor nicht lösbare Entscheidungen. Alma befindet sich im Dauerkonflikt, dem sie kaum entkommen kann. Nervenstark muss sie in dieser Position sein, doch vor dem Hintergrund ihres privaten Chaos mit der Trennung von ihrem Mann gerät sie an den Rand ihrer Möglichkeiten. Der Fall lässt Aussage gegen Aussage stehen, es gibt keine belastbaren Argumente für die oder die andere Seite und die Verantwortung für das Leben des jungen Mannes, ebenso wie für ihr Land liegt bei ihr.

Man erkennt in dem Roman schnell die Handschrift der Autorin, die für ihren letzten Roman „Menschliche Dinge“ mit dem Prix Interallié und dem Goncourt des Lycéens ausgezeichnet wurde. Wieder einmal sind es Figuren im mittleren Alter, die zum einen vor der Sinnfrage ihrer getroffenen Entscheidungen stehen, sie zum anderen aber mit der aktuellen Situation Frankreichs unmittelbar verbunden sind. Themen, die das Land bewegen, finden sich auch in Tuils Romanen, hier nun die Anschläge, die Frankreich in eine Schockstarre versetzten. Die Angst vor neuerlichen Todesopfern durch radikalisierte Islamisten ist zum Greifen, die Ermittlungsrichterin spürt die Last der Erwartung von Millionen Menschen auf ihren Schultern, dass sie permanent Drohungen erhält und auch tätlich angegriffen wird, trägt zudem zur Anspannung bei. Durch die Erzählperspektive befindet man sich in Almas Kopf, durchlebt mit ihr das Wechselbad der Gefühle und die Belastung, die sie beinahe zerreißt.

Es ist der entscheidende Moment im Leben der Protagonistin wie auch des Angeklagten. Man weiß, dass die Entscheidung nicht ohne Folgen bleiben wird, doch welche und für wen? So wird neben der wieder einmal brillanten Figurenzeichnung auch eine enorme Spannung aufgebaut und man selbst fragt sich, wie man entschieden hätte, welchen Eindruck man aus den Befragungen gewonnen hat und welche Schuld man damit vielleicht auf sich geladen hätte.

Max Bronski – Halder

Kurt Halder, Präsident des Verfassungsschutzes und sein Fahrer sind auf dem Weg nach München, wo bei einem offenkundig linksradikalen Anschlag ein Kommissar ums Leben kam. Die SoKo Nordring ermittelt und es scheint, als stehe ein weiteres Attentat auf eine Kaserne bevor. Das erste Opfer schien die Gruppe jedoch erst durch sein Verhalten getriggert zu haben und so sind die ehemaligen RAF Sympathisanten nach Jahrzehnten wieder aktiv geworden. Halder hat jedoch noch eine zweite, private Mission, die er mit dem Aufenthalt in Bayern verbinden will. Eine ehemalige Klassenkameradin hat ihn eingeladen und so die Chance eröffnet, eine seit vier Jahrzehnten an ihm nagende Frage zu beantworten: ist er der Vater ihrer Tochter? Während Halder auf der Autobahn gen Süden rollt, droht in seiner Behörde jedoch ein Angriff auf ihn, endlich hat sein langjähriger Widersacher die Chance, sich zu rächen.

Max Bronski ist nicht erst seit seiner Auszeichnung mit dem Friedrich Glauser Preis eine feste Größe in der deutschsprachigen Krimiwelt. Sein aktueller Roman „Halder“ ist im Milieu der Sicherheitsdienste angesiedelt und greift hochpolitische und ebenso brisante Strömungen auf, vor denen man gerne die Augen verschließt: ein Attentat und dessen Verursacher, die schnell im linksradikalen Milieu gefunden werden. Andere Lesarten wie Rechtsextremisten werden vernachlässigt, mögliche Beteiligungen von Polizisten ignoriert und nur eine einzige Spur mit aller Kraft verfolgt. Das Narrativ ist ebenso einseitig wie voreilig.

Die Geschichte ist vielschichtig und entwickelt aus einem einzigen roten Faden – Halder auf dem Weg zum letzten Schlag gegen die identifizierten Täter – und lässt ein Geflecht von sich immer wieder knotenden und verwickelnden Handlungssträngen entstehen.

„Aber nun war die Zersetzung in vollem Gange, weil der Bürger selbst hervortrat, aber nicht zum Dialog, sondern um abzurechnen. Er kübelte die Repräsentanten des Staats und alle, die er nicht auf seiner Linie wähnte, mit unflätiger Wut zu.“

Was bringt eine Gruppe von Senioren dazu, nach so langer Zeit wieder aktiv zu werden? Weshalb hatte der ermordete Polizist sie überhaupt auf dem Schirm und hat sie scheinbar bedroht? Sind sie in ihrem Vorgehen naiv leichtsinnig – die Ermittler können leicht jeden Schritt verfolgen – oder doch unglaublich gerissen, so dass sie ihre Verfolger in die Irre führen?

Halders Gegenspieler hingegen merkt, wie er schachmatt gesetzt wurde und sucht nach einem effektiven Mittel gegen den verhassten Vorgesetzten. Zu tief gehen die Wunden inzwischen als dass er sich die tägliche Demütigung weiter gefallen lassen würde. Und da fällt ihm etwas auf, er findet eine andere Spur, kann ein Gegenszenario entwerfen, das Halder zu Fall bringen wird.

Dieser sinniert derweil nicht nur über den aktuellen Fall und seine private Mission. Erinnerungen an seine Familie, den strengen Vater, der sich nie wirklich gegen das Gedankengut der Nationalsozialisten stellte und die Erziehung des Sohnes mit ebensolcher Härte verfolgte, wie er selbst einst dem Führer diente. Die Mutter, die vom Leben enttäuscht den Rückzug in die Küche antrat, ein Muster, das sich bei Halders eigener Gattin wiederholte.

„Wer war Freund, wer Feind? Für eine Behörde, die zwar auf abgewogenen, aber letztlich klaren Einschätzungen fußen musste, war der Versuch, Orientierung zu finden, so aussichtsreich, wie Pfannkuchen an die Wand zu nageln.“

All dies steht in einem Kontext der scharfen Analyse der Lage der Nation. Halder entwirft ein düsteres Bild der Gesellschaft und des Staates. Die Veränderungen der letzten Jahrzehnte passen nicht mehr zu dem Gebildet, das nach dem zweiten Weltkrieg entworfen wurde. Ein nachdenklich stimmender Politkrimi, der gleichermaßen Spannung wie Tiefgang bietet.

Jérôme Leroy – Der Schutzengel

Jérôme Leroy – Der Schutzengel

Berthet soll getötet werden, von seinen eigenen Leuten, die wie er Mitglied der Unité sind, jeder Einheit, die im Verborgenen die Schmutzwäsche des Staates beseitigt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Berthet ist Agent, Auftragsmörder, der nicht viele Fragen stellt, sondern sauber die Befehle ausführt. Nebenbei hat er seit Jahren jedoch auch seine eigene Agenda, diese hat auch einen Namen: Kardiatou Diop. Als er ihr zum ersten Mal begegnete, war sie eine 14-jährige Göre aus der Vorstadt mit schlechter Zukunftsprognose, doch im Geheimen hat er immer wieder die Weichen gestellt und eine schützende Hand über das Mädchen gehalten, das inzwischen zur populären Politikerin aufgestiegen ist. Doch bevor seine Kollegen ihren ultimativen Anschlag durchführen, muss Berthet noch etwas erledigen: seine Geschichte erzählen.

„Das ist das Alter, denkt Berthet erneut. Oder die Wehmut. Berthet ist ein Nostalgiker. Das weiß er. Dabei gibt es eigentlich nicht viel, dem er nachtrauern kann. Er hat sich sein Leben lang mit nichts anderem als Mord, Folter, Erpressung, Destabilisierung, Manipulation, Vergewaltigung, Verstümmelung, Attentaten und Entführungen beschäftigt. Trotzdem ist Berthet ein Nostalgiker.“

Schon Jérôme Leroys Krimi „Der Block“ über die extremen Rechten in Frankreich konnte mich sehr begeistern, weshalb die Erwartungen an „Der Schutzengel“ hoch waren. Wieder einmal greift er in einem Roman politische Ereignisse und gesellschaftliche Strömungen auf, die maßgeblich für die Handlung sind. Der aktuelle Krimi ist jedoch in seiner Konstruktion etwas sperrig, was das Lesen nicht ganz einfach macht, wenn dies auch literarisch experimentell und interessant gestaltet ist. So kommt es für mich nach extrem starkem Beginn im ersten Teil zu einem langsamen Nachlassen, Teil drei ist mit Abstand der schwächste, was ich einzig der Perspektivwahl zuschreiben würde.

Der Krimi beginnt damit, dass Man Berthet in Lissabon in voller Aktion erlebt. Nein, eigentlich hat er dort keinen Auftrag, sondern genießt nur die Stadt unter einer seiner vielen Identitäten, als er auf ein ziemlich dilettantisch agierendes Trio aufmerksam wird. Es endet nicht nur im Blutbad, sondern im völligen Chaos. In Teil zwei will er den Autor Joubert davon überzeugen, seine Memoiren zu schreiben. Joubert ist gerade verlassen worden und ziemlich abgebrannt, aber ein dreiteiliges, ziemlich totes Mordkommando in seinem Wohnzimmer überzeugt ihn dann doch recht schnell.

»Wenn ich jedes Mal geheult hätte, wenn mein Leben im Umbruch war und ich Zeuge eines Blutbads wurde … Diese linken Intellektuellen sind die reinsten Waschlappen. Verdammt noch mal.« »Und dann wird er bald auch noch fünfzig«, fügt Berthet hinzu, während er Joubert die Schulter tätschelt. »Und er hat nicht viel Geld und auch keine Rolex.«

Berthet ist ohne Frage die interessanteste Figur. Zahlreiche Brüche – kaltblütiger Mörder hier, Poesie liebender Schutzengel dort – zeigen immer wieder neue Seiten. Daneben verliert man beinahe die politischen Implikationen seines Daseins aus den Augen. Der Aufstieg der extremen Rechten, die verzweifelten Versuche diese im Zaum zu halten und das Mächtegleichgewicht nicht ins Wanken zu bringen, man kann sich problemlos das Dasein der Unité vorstellen. Mit dem SAC (service d’action civique) gab es ja durchaus schon eine reale Vorlage.

Neben den kritischen Anspielungen begeistert der Roman jedoch vor allem durch die lakonische Erzählweise. Berthet fackelt nicht lange rum, er nennt die Dinge beim Namen, er hat zu viel gesehen, um noch irgendwas zu beschönigen. Außer in der Poesie, da darf es schon mal etwas verspielter für ihn werden.

Colum McCann – Apeirogon

Colum McCann – Apeirogon

Zwei Väter, Rami Elhanan und Bassam Aramin, die unzählige Gemeinsamkeiten haben. Beide haben sie eine Tochter verloren, beide leben sie auf demselben Fleckchen Erde, beide wollen den anderen verstehen, beide wollen Frieden. Doch es trennen sie auch Welten: Rami ist Israeli, Bassam Palästinenser. Ramis Tochter wurde bei einem hinterhältigen Selbstmordattentat getötet, Bassams Tochter durch die Waffe eines israelischen Soldaten. Sie können sich nicht gegenseitig besuchen, das verbietet das Gesetz und an Checkpoints wird dies kontrolliert. In der Organisation “Parents Circle“ treffen sich Eltern wie sie, die durch den Konflikt ihre Kinder verloren haben und nur einen Wunsch haben: dass nicht noch mehr Eltern dieses Martyrium erleiden müssen.

Colum McCanns Roman ist eine Mischung aus Fakt und Fiktion. Die beiden Väter und ihre Töchter sind real, jedoch nicht alle Gedanken und Ereignisse, die geschildert werden. Auch wird die Handlung durch zahlreiche Fakten ergänzt, die Lexikon-gleich das Geschilderte untermauern und auch versachlichen. Bevor es zu emotional wird, tritt man wieder einen Schritt zurück. Man bewegt sich immer wieder hin und her in diesem Spannungsfeld, das auch durch die 1000 Kapitel, die zunächst aufsteigend, dann absteigend nummeriert sind, unterstützt wird. Dieser Wechsel des Blickwinkels ist es auch, der schon im Titel festgeschrieben ist: ein „Apeirogon“ ist ein Vieleck mit einer gegen Unendlich gehenden Anzahl von Seiten. In der Nahaufnahme sieht man eine Linie und einen Winkel, aus der Ferne stellt sich die Figur jedoch womöglich ganz anders dar. So auch der Konflikt, der sich aus der Ferne zwischen zwei Staaten oder Völkern abspielt, aus der Nähe betrachtet jedoch das Schicksal einzelner Menschen besiegelt.

Es ist nicht leicht zu fassen und zu verstehen, was Bassam und Rami erleiden. Dies wird durch Schleifen und Wiederholungen angedeutet, die gleich dem Leiden und gedanklichen Kreise-Drehen um immer wieder dasselbe Ereignis funktionieren. Smadar und Abir kannten sich nicht, zwischen ihren Todestagen liegen zehn Jahre und doch wurden ihre Schicksale miteinander verbunden; sie stehen auf verschiedenen Seiten desselben ermüdenden Konflikts und beide haben als junge Mädchen völlig sinnlos ihr Leben gelassen.

„Damals fehlte mir das Bewusstsein, um es mir einzugestehen, aber verstehen Sie? Ich war Ende vierzig, und zum ersten Mal in meinem Leben begegneten mir Palästinenser als menschliche Wesen. (…) ich erkannte sie als Menschen, die die gleiche Last trugen wie ich, dasselbe Leid empfanden. Ihr Schmerz war mein Schmerz.“

Zwei Seiten des Nahostkonflikts, gespiegelt in einem einzigen Roman. Eine Geschichte über Gewalt und Leid, aber auch über Vergebung und Aufeinanderzugehen. Ein politischer Roman, der jedoch das persönliche Schicksal ins Zentrum rückt und zeigt, dass viel zu oft die Menschen vergessen werden, die hinter politischen Entscheidungen stehen, die diese ausbaden und unter ihnen leiden. Auch McCann liefert keine Lösung, aber Hoffnung darauf, dass ein Wille vorhanden nicht, nicht noch mehr Leid zu produzieren. Für mich einer der literarisch ausgereiftesten und inhaltlich bedeutsamsten Romane des Jahres.

Alfred Hackensberger – Letzte Tage in Beirut

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Alfred Hackensberger – Letzte Tage in Beirut

Das Attentat, das eine krisengebeutelte Region einmal mehr erschüttert: am 14. Februar 2005 wird der ehemalige Premierminister des Libanon, Rafiq Hariri, mit einer Autobombe im Zentrum Beirut getötet. Zahlreiche weitere Menschen kommen bei dem verheerenden Anschlag ebenfalls ums Leben oder werden verletzt. Bis heute ist unklar, wer hinter der Tat steckt, Verdächtige gibt es viele: Israelis, Syrer, die Hisbollah, sonstige Feinde des Unternehmers. Alfred Hackensberger zeichnet die Tat nach: die Täter, der Hintermänner, der Journalist, der für den Westen darüber berichtet. In rascher Folge wechseln die Perspektiven und die Unübersichtlichkeit der Handlung spiegelt das Chaos des Landes eins zu ein wider.

Basierend auf den realen Ereignissen zeichnet der Autor ein mögliches Szenario des Anschlags. Der Reiz liegt vor allem in der Person des Opfers, bis heute wird Hariri in seiner Heimat verehrt, einer seiner Söhne hat inzwischen sein politisches Erbe angetreten. Er ist wohl eines der prominentesten Beispiele für die komplexe Lage im Mittleren Osten, wo Geschäftsinteressen und politische Ambitionen sich vermischen, wo Geheimdienste ebenso wie Terrororganisationen versuchen ihren Einfluss geltend zu machen. Und kaum ist einer der Big Player von der Bildfläche verschwunden, rückt der nächste schon nach.

Als Buch nicht ganz einfach zu beurteilen, „Letzte Tage in Beirut“ ist als Thriller gekennzeichnet, rein dem Inhalt nach mag dies zutreffen, jedoch bleibt der Schreibstil fern jeder Spannung, sondern wirkt geradezu nüchtern. Für mich überzeugt Hackensberger eher durch eine authentisch wirkende Darstellung der Atmosphäre und politischen Lage des Libanon im Jahr 2005.

Øistein Borge – Hinterhalt

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Øistein Borge – Hinterhalt

Vier Jahre ist es her, dass Bogart Bull zuletzt bei seinem Großvater in Nordirland war, doch diesen Sommer ist es so weit, denn dem alten Mann geht es nicht gut und zudem will Bogart mit seinem Vater und Großvater der verstorbenen Mutter und Großmutter gedenken. Doch kaum ist Bull in Belfast angekommen, wird er zu einem Fall mit zwei ermordeten Norwegern hinzugezogen. Als Europol-Kommissar für auswärtige Angelegenheiten hat er keine große Wahl und muss statt zu urlauben mit den lokalen Ermittlern zusammenarbeiten. Der Fall ist mysteriös, denn neben dem älteren norwegischen Ehepaar wurde auch noch eine dritte Leiche in unmittelbarer Nähe gefunden und diese Leichen weist deutliche Parallelen zu alten Fällen auf: zwei leere Augenhöhlen und darin eine Lilie. Das unverkennbare Zeichen der IRA. Hat die kriminelle Organisation sich neuformiert und den bewaffneten Kampf wieder aufgenommen?

Fall zwei für den skandinavischen Kommissar mit dem außergewöhnlichen Namen. „Kreuzschnitt“ hatte mich bereits begeistert, weshalb die Erwartungen an diesen Band der Reihe ebenfalls hoch waren. Wieder eine spannende und vor allem politisch-komplexe und interessante Geschichte, die jedoch aufgrund der nicht ganz überzeugenden persönlichen Verwicklungen Bulls nicht ganz an den Serienauftakt heranreicht.

Mit Belfast als Handlungsort ist die Nordirlandfrage quasi zwingend als Aspekt gesetzt und dies wird auch überzeugend und glaubwürdig von Øistein Borge umgesetzt.

» (…) Er stirbt niemals.«

»Was stirbt niemals?«

»Der Hass«, seufzte McKenna. »Der Frieden ist in erster Linie dem Umstand geschuldet, dass beide Seiten in diesem Konflikt müde geworden waren. Es gibt alte IRA-Kämpfer, die meinen, dass Sinn Féin – also der politische Flügel der IRA mit Gerry Adams an der Spitze – den Traum verraten hat, für den Tausende von irischen Katholiken ihr Leben gegeben haben: den Bruch mit England und eine Wiedervereinigung mit der Republik im Süden.

 

Dieser Hass ist es, der Generationen überdauert und auch Jahrzehnte später noch Grundlage für Morde und Vergeltung ist. Borge greift die 2016er Brexit-Abstimmung als Ausgangspunkt auf. Was damals wie auch heute noch gleichermaßen ungewiss ist, ist der Status des geteilten Irland und die Grenze, die dank der EU-Zugehörigkeit quasi der Vergangenheit angehörte und nun mit dem Ausscheiden aus dem Bündnis wieder hochaktuell wurde. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen wird der Konflikt am Beispiel der persönlichen Betroffenheit der Figuren deutlich und verständlich.

Bulls Familiengeschichte wird hier weitergesponnen und vor allem nun die zurückliegenden Ereignisse etwas mehr ins Licht gerückt. Es bleiben jedoch noch einige Fragen, die hoffentlich in den Folgebänden etwas klarer werden. Insgesamt ein anspruchsvoller Krimi, der überzeugt.

Jan Stocklassa – Stieg Larssons Erbe

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Jan Stocklassa – Stieg Larssons Erbe

Der 28. Februar 1986 ändert vieles im schwedischen Bewusstsein: auf offener Straße wird Premierminister Olof Palme erschossen und er erliegt am Tatort den Verletzungen. Auch dreißig Jahre nach der Tat sind weder der Täter dingfest gemacht noch die genauen Geschehnisse des Tatabends geklärt. Der Journalist Jan Stocklassa stößt bei seinen Nachforschungen für ein Buch über Tatorte auf die Aufzeichnungen von Stieg Larsson, heute aufgrund der Millennium-Trilogie als Thriller-Autor weltweit bekannt, in den 80er Jahren jedoch in Schweden geschätzter Journalist und Illustrator, der sein Leben lang gegen den Rechtsextremismus anschrieb. Auch Larsson hat bis zu seinem Tod 2004 akribisch geforscht, um den Mordfall Olof Palme aufzuklären. Stocklassa nimmt die Spurensuche wieder auf und vervollständigt Larssons Vorarbeit. Am Ende bleibt die Frage offen, was die schwedische Polizei aus dem Material machen wird.

„Stieg Larssons Erbe“ ist eine detailreiche Dokumentation nicht nur der unmittelbaren Ereignisse vom 28.2.1986, sondern es beschreibt auch wichtige politische Zusammenhänge und Ereignisse, die wesentlich für die Tat sein könnten, und ebenso die geradezu erschrecken komplizierte und von Streitigkeiten geprägte Struktur des Polizei- und Juristereiapparats. Obwohl das Buch einen weitgehend dokumentarischen und beschreibenden Charakter hat, Stocklassa legt auch seine und Larssons Arbeitsweise ausführlich dar, um ihre Gedankengänge und Vorgehen nachvollziehbar zu machen, liest sich das Buch dennoch unheimlich gut und wirkt an keiner Stelle ermüdend oder gar dröge.

Sicherlich hat es einen guten, von Marketing-Gesichtspunkten geprägten Sinn, dass der Name Stieg Larssons im Titel erscheint. Für mein Empfinden verschiebt das leider etwas den Fokus und lenkt potenzielle Leser in eine falsche Richtung. Dies ist besonders schade, da es einen ausgesprochen hohen informativen Wert hat, unterhaltsam zu lesen ist und auch ohne den bekannten Namen wirken kann. „True Crime“ – ja, natürlich, aber faktisch ist es eine Aufarbeitung des Falls Olof Palme, der unheimlich komplex und dadurch enorm interessant ist. Für mich eine sehr lohnende Lektüre, da mir der Fall nur rudimentär bekannt war und ich die Hintergründe und Zusammenhänge nicht wirklich kannte. Sowohl das Vorgehen des Autors bei der Recherche war dabei für mich aufschlussreich zu lesen, aber auch die Situation des Extremismus und Terrorismus in Schweden, was mir bis dato gänzlich unbekannt war.

Fazit: ein Buch, das vor allem durch den Einblick in qualitativ hochwertige journalistische Arbeit überzeugt und für ein Sachbuch in einem hohen Maße ansprechend verfasst wurde.

André Georgi – Die letzte Terroristin

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André Georgi – Die letzte Terroristin

Der deutsche Herbst ist längst vergangen, die großen Ikonen der RAF tot und Deutschland frisch wiedervereinigt. Aber der Untergrundkampf ist noch lange nicht beendet, denn es gibt neue Ziele, neue Opfer, denen die dritte Generation Terroristen sich zuwendet: der Chef der Deutschen Bank, ermordet im Frühjahr 1991 und das nächste Ziel ist auch schon im Visier: Hans-Georg Dahlmann, der Treuhandchef. Geschickt hat man eine Frau bei im platziert, die bislang völlig unter dem Radar von BKA und anderen Sicherheitsbehörden war: Sandra Wellmann, ehemals beste Freundin seiner Tochter erscheint Dahlmann vertrauenswürdig und geeignet als Assistentin. Doch das BKA ist der RAF auf der Spur, ein V-Mann kann wichtige Informationen liefern und die Nerven liegen blank bei den Terroristen – so geschehen Fehler. Wer wird am Ende die Oberhand haben?

Wie schon in „Tribunal“ greift André Georgi auf die Realität als Vorlage für seinen Thriller zurück und zeigt, dass das Leben selbst genügend Spannung bietet und es gar keiner ausgedachten Geschichte bedarf, um auf höchstem Niveau zu unterhalten. Auch wenn die Namen der Opfer und Täter erfunden sind, benötigt man als Leser nur wenige Seiten um die Ermordungen von Alfred Herrhausen und Detlev Karsten Rohwedder wiederzuerkennen. Zwei aufsehenerregende Fälle, deren genaue Tathergänge bis heute nicht restlos geklärt sind.

Die ganz klar spannendsten Aspekte sind nicht der Ausgang der Geschichte, der ist bekannt, sondern die von Georgi konstruierten Hintergründe und die Figuren der Täter mit ihren Emotionen, aber auch den Strukturen der RAF. Bringt man den Fall Rohwedder nur mit dem Terror in Verbindung, vergisst man mögliche andere Motive, die in Anbetracht seiner Funktion eigentlich naheliegen und es ist gut vorstellbar, dass hinter dem Mord ein ganz anderer Antrieb steckte, der bis heute unentdeckt ist und es womöglich immer bleiben wird. Auch die Rücksichtslosigkeit, mit der die Terroristen mit den eigenen Leuten umgehen, wie Sandra im Roman benutzt und belogen wird, steigert das abscheuliche Bild der Gruppe nochmals.

So bleiben Handlung und Spannung trotz der erkennbaren Parallelen zur Realität und den vielfach bekannten Aspekten auf durchgängig hohem Niveau. Ein Politthriller, der restlos überzeugt und durch die Verbindung von Terror, Politik und Wirtschaft zudem anspruchsvoll die jüngere deutsche Geschichte darstellt, die komplex geworden ist und keine einfachen Zuordnungen und Zuschreibungen mehr zulässt.

Mazarine Pingeot – Magda

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Mazarine Pingeot – Magda

Ça fait quarante ans que Magda a quitté son pays natal, l’Allemagne, qu’elle n’a plus utilisé sa langue maternelle et qu’elle a essayé d’oublier toute sa vie avant d’arriver dans le petit village pyrénéen. Son mari Guillaume et elle vivent une vie simple, en phase avec la nature. Leur fille Alice n’est pas loin avec sa famille à elle ; eux aussi ont choisi un mode de vie particulier : une sorte de communauté qui accueille de différentes personnes qui partagent leurs idées d’autonomie et de l’extrême gauche. Quand un attentat se produit, Alice et son mari sont détenus ; Rosa, leur fille de huit ans, trouve une place chez les grands-parents. Magda et Guillaume ont peur de ce que la prison fait avec Alice, mais Magda arrive à encourager sa fille. Comment la mère sait-elle exactement comment c’est, la prison, et pourquoi parle-t-elle couramment le langage des extrémistes gauchistes ? Le passé de Magda la rejoint finalement.

Au début du roman, on se demande pourquoi la mère a donné le nom au titre et pas la fille qui est au centre de l’action. Alice se retrouve à la prison, accusé d’avoir commis un crime horrible, un acte dédaignable qui a mis en danger la vie d’êtres humains. Mais, peu à peu, le centre d’attention évolue et Magda devient de plus en plus intéressante. D’abord, elle est seulement la femme –paysanne qui a choisi la vie simple et qui cultives des légumes. Mais au moment où le discours politique commence, cela apporte un éclairage nouveau sur la femme.

Mazarine Pingeot a bien construit son roman qui a beaucoup d’aspects d’un roman policier. Il est évident que Magda a un passé intéressant et que celui-ci va être dévoilé au cours de l’action. Néanmoins, l’auteure réussit à retarder ce moment et ne donne pas trop d’indices pour deviner ce qui s’est passé exactement. Pingeot se sert de l’histoire allemande comme arrière-plan pour son roman et crée ainsi une histoire authentique qui aurait bien pu se passer de cette manière.

A part cela, c’est un roman de famille et de la question ce que c’est la famille. Combien d’affection faut-il pour témoigner qu’on s’aime et combien une famille peut-elle subir ? Y a-t-il des idéaux transmis de parents en enfants sans qu’on en parle franchement ? Et une fille, ne veut-elle pas toujours être acceptée et appréciée par la mère ?

Mazarine Pingeot m’a positivement surprise avec ce roman. J’ai lu quelques-uns de ses œuvres, mais c’étaient avant tout des romans inspirés par sa propre vie. Maintenant, c’est un roman fictif et celui-ci m’a vraiment convaincu d’elle.