Der norwegische Krimiautor Jo Nesbø macht sich in seinem aktuellen Buch auf, unterschiedliche Formen von Eifersucht zu ergründen, die – man ahnt es – für die Beteiligten nicht immer gut ausgehen. In sieben Geschichten, die sich in Setting und Länge völlig unterscheiden, lässt er den Leser daran teilhaben, wie die Figuren in den emotionalen Ausnahmezustand geraten. Der Profikiller, der eigentlich nur seinen Job machen will und dann an eine für ihn bezaubernde Kundin gerät; das Brüderpaar, das um die Gunst derselben Frau buhlt; die Migrantin, die sich als Kassiererin den ganzen Tag den Unverschämtheiten ihrer Kunden aussetzen muss oder auch der Autor, bei dem sich Realität und Fiktion vermischen, sie und weitere erleben wir im Grenzbereich des Menschlichen und Unmenschlichen.
Ich bin zugegebenermaßen kein ausgewiesener Freund von Kurzgeschichten, die Figurenentwicklung kommt mir dabei oft zu kurz und das Zuspitzen der Handlung auf einen einzigen Kulminationspunkt lässt mir zu viel von dem Fehlen, was davor geschah und dahin geführt hat. Daher ist es für mich nicht weiter verwunderlich, dass die längeren Geschichten mich deutlich mehr angesprochen haben, insbesondere „Eifersucht“ um die beiden Kletterer und den Athener Ermittler, der ihren ungewöhnlichen Fall untersucht, mit rund 120 Seiten auch schon eher eine Novelle innerhalb der Sammlung.
Über allen Geschichten schwebt die Frage, was einen Menschen dazu treiben kann, einem anderen das Leben zu nehmen. Es sind ganz unterschiedliche Beweggründe, die meist nachvollziehbar motiviert sind und so die Frage beim Leser aufreißen, ob man selbst auch in dieser Situation enden könnte. Natürlich würde niemand bei klarem Verstand so weit gehen und doch: Jo Nesbø präsentiert ganz normale Figuren, die einem tagtäglich über den Weg laufen könnten und bei denen schlicht ein einziger Tropfen zu viel wurde und das Fass zum Überlaufen brachte. Kann man nicht selbst auch an diesen Punkt gelangen? Würde man so weit gehen? Und hat man nicht sogar sehr viel Verständnis für sie? Eine moralische Herausforderung, die dabei bestens unterhält.
Lambros Sissis, bester Freund von Kommissar Charitos, kann das Elend im Obdachlosenheim nicht mehr mitansehen. Seine politischen Ideale sind gestorben, es bleibt nur noch die Linke, die seiner Ansicht nach auf ganzer Breite versagt hat, zu Grabe zu tragen. Er organisiert einen Trauerzug samt Sarg durch Athen, was ihm entsprechende Aufmerksamkeit einbringt. Die Armen verbünden sich, nicht mehr nur die Obdachlosen am unteren Rand der Gesellschaft, auch die Flüchtlinge und die ehemalige Mittelschicht leiden und schließen sich der neuen Protestbewegung an. Zu Charitos‘ Schrecken sind auch seine Frau Adriani und Tochter Katerina aktiv im Kampf gegen die Kapitalisten. Und diese müssen sich auch ganz konkret fürchten, denn ein Mörder scheint es gezielt auf ausländische Investoren abgesehen haben. Erst ein saudi-arabischer Bauunternehmer, dann ein chinesischer Unternehmer werden heimtückisch in eine Falle gelockt und erstochen. Der Beginn einer Serie? Offenkundig, denn stets wird am Tatort auch ein Lied vernommen, ein Lied, das von Geld und Gier erzählt.
Immer wieder hat Petros Markaris in seiner Reihe um den Athener Kommissar Kostas Charitos gesellschaftliche Entwicklungen aufgegriffen und sich deutlich positioniert. Wurde im vorausgehenden Band die Heuchelei der griechischen Elite kritisiert, greift er nun in „Das Lied des Geldes“ sowohl die drängende Armut, die nach der Finanzkrise weite Teile der Bevölkerung erfasst hat, auf und thematisiert, wie die Not von geschäftstüchtigen, ausländischen Investoren ausgenutzt und dadurch noch weiter verschlimmert wird.
Es braucht nicht viel, um Lambros Sissis‘ Resignation nachvollziehen zu können. Das Leid unmittelbar vor Augen, ohne jede Hoffnung auf Besserung, kann man nur noch mit einem gewissen Zynismus reagieren, wenn man nicht vollends verzweifeln möchte. Dass er schnell aus allerlei Richtungen Unterstützer findet, ist nicht verwunderlich, sondern verstärkt eher das Gefühl von Machtlosigkeit ob der schon seit Jahren andauernden Krise. Der friedliche Protest glückt und gewinnt die Sympathien. Dass dies einigen jedoch vielleicht zu wenig ist, kann man menschlich nachvollziehen.
Geschickt wird so der Bogen zur eigentlichen Krimihandlung geschlagen, deren Opfer zu der Riege der Profiteure der Notlage gehören und die sich auf Kosten der Schwächsten bereichern. Auch wenn Charitos im Sinne der juristischen Gerechtigkeit unterwegs ist, bleibt die moralische eine gänzlich andere Frage.
Markaris erzählt nicht die nervenzerreißenden Geschichten, sondern jene zutiefst menschlich motivierten, die mit langsamerem Tempo jedoch deutlich mehr Tiefgang erreichen und die Finger in die Wunden legen, wo es weh tut. Seine authentischen Figuren sind die einfachen Menschen, die trotz mancher Widrigkeit versuchen, den Alltag zu meistern und ein rechtschaffenes Leben zu führen, bis ihnen das jedoch nicht mehr gelingt. Die Täter sind oft die eigentlichen Opfer und so zeigt auch „Das Lied des Geldes“, dass die Realität komplexer ist als nur schwarz und weiß und dass die Frage nach dem, was richtig und was falsch ist, durchaus moralisch herausfordernd werden kann.
Einmal mehr ein aufrüttelnder Roman, der Spannung mit Sozialkritik verbindet.
Ein herzlicher Dank geht an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Autor und Buch finden sich auf der Verlagsseite.
Kaum ist er aus dem Flieger gestiegen, wird der ehemalige US Präsident Douglas Turner in Athen verhaftet. Der Internationale Gerichtshof hat Anklage erhoben und einen Haftbefehl ausgestellt, der durch die lokalen Behörden ausgeführt werden muss. Dana Marin ist als Vertreterin des ICC vor Ort, um den Vorgang zu überwachen, gerät aber auf das Bildmaterial, das heimlich angefertigt wird und sich sogleich online verbreitet. Damit beginnt dann auch das Kräftemessen: auf der einen Seite der ICC, der die Gerechtigkeit auf seiner Seite hat, jedoch über wenig Macht verfügt, lediglich auf die öffentliche Meinung hoffen kann. Gegenüber steht die mächtigste Nation der Welt, die sogleich die ganze Maschinerie anwirft, nicht nur um das ehemalige Oberhaupt schnell aus griechischer Haft zu befreien, sondern auch um im aktuellen Wahlkampf nicht das Gesicht zu verlieren. Gerade das Land, das für Freiheit und den Kampf gegen den Terrorismus steht, soll nun dafür angeklagt werden?
Marc Elsberg hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen mit spannenden Thrillern gemacht, die insbesondere dadurch herausstechen, dass er aktuelle Themen für seine Szenarien wählt. Sei es die prekäre Stromversorgung im Notfall in „Blackout“ oder auch Gentechnik in „Helix“ – immer treibt er das Gedankenspiel bis an die aushaltbare Grenze. In „Der Fall des Präsidenten“ wirft er nun die ethisch-moralische Frage auf, wie viel den Ländern Recht und Gerechtigkeit wert sind und wie in Zeiten von Deep Fakes und Fake News die öffentliche Meinung beeinflusst und Wahrheit immer perfekter gefälscht werden kann.
Die eigentliche Handlung an der Oberfläche umfasst nur wenige Tage, in denen wiederholt das Gericht tagt, das über die Rechtmäßigkeit des ICC Haftbefehls und der damit verbundenen Auslieferung an Den Haag entscheiden soll. Spannend wird die Angelegenheit durch die Nebenschauplätze, an denen ganz verschiedene Aspekte eskalieren. Die Amerikaner nutzen ihre Vormachtstellung und drohen sogleich mit wirtschaftlichen Sanktionen, erlassen Einreisebeschränkungen und positionieren sich im Streit zwischen Griechen und Türken, um so den Druck auf das Land zu erhöhen. Von der Unabhängigkeit eines Gerichts kann kaum mehr die Rede sein, wenn eine ganze Nation in Sippenhaft genommen wird.
In der Sachfrage steht natürlich die komplexe Problematik im Fokus inwieweit ein Präsident für die Taten der Armee und einzelner Soldaten in Kriegen verantwortlich ist. An Kollateralschäden bei der Zivilbevölkerung hat man sich leider gewöhnt, der vorgebliche Zweck scheint sehr viele Mittel zu rechtfertigen, insbesondere seit 9/11. Einzig der Internationale Gerichtshof könnte hier Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erheben, aber er wirkt wie ein zahnloser Tiger und zahlreiche Ausnahmen und die Nicht-Anerkennung durch Länder wie die USA lassen vernünftige Arbeit kaum zu.
Die noch junge und wenig erfahrene Vertreterin des ICC erfährt die volle Härte der eigentlich juristischen Auseinandersetzung auf ganz anderer Ebene: sofort tauchen Bilder von ihr online auf, die in tendenziöse Zusammenhänge gepackt werden, andere werden direkt skrupellos gefälscht, um so die Öffentlichkeit zu täuschen und Meinungsmache zu betreiben. Verschwörungstheoretiker und verquere Denker lassen sich zudem ungehemmt mit ihren Theorien aus.
Ins Rollen bringt alles ein Whistleblower, der seiner Intuition folgte und sich nun größter Gefahr ausgesetzt sieht. Man weiß, wie insbesondere die USA mit in ihren Augen Vaterlandsverrätern umgeht. Schützen kann ihn kaum wer in dieser Situation, denn bei dem mächtigen Gegner ist sich jeder selbst am nächsten.
Auch wenn das Ende vielleicht durch die plötzliche Action etwas zu dick aufgetragen ist, ein spannender Thriller, dem es gelingt, die Komplexität des Konflikts und der Wirklichkeit unterhaltsam abzubilden.
Gerade ist Hauptkommissar Kostas Charitos zum ersten Mal Großvater geworden als eine unglaubliche Mordserie Athen erschüttert. Das erste Opfer ist Paris Fokidis, Besitzer einer großen Hotelkette und offenkundiger Wohltäter, der in der Garage seines Hotels durch eine Autobombe getötet wird. Das Bekennerschreiben wird gezeichnet mit „Das Heer der Nationalen Idioten“, einer bis dato unbekannten Gruppierung. Nur wenige Tage später trifft es Lasaros Kaplanis, Abteilungsleiter im Statistikamt, der zwar kein angenehmer Zeitgenosse war, aber ihn deshalb gleich zu töten? Es folgen EU Mitarbeiter und ein fehlgeschlagener Anschlag auf eine Bankenmitarbeiterin. Statt den Enkel zu knuddeln muss Kostas Charitos nun eine perfide Bande jagen.
„Früher haben wir uns bessere Lebensbedingungen der Armen eingesetzt. Jetzt konkurrieren die Armen untereinander um einen 300-Euro-Job.“
Petros Markaris bleibt seiner Linie treu, spannende Kriminalfälle um seinen Athener Ermittler, die gesellschaftskritische und politische Themen aufgreifen. Im aktuellen Fall sind die wirtschaftlichen Entwicklungen Griechenlands, die strengen Vorgaben seitens der EU und die damit verbundenen Folgen für die Bevölkerung Auslöser der Tötungsserie.
Der Fall beginnt diffus und liefert wenig Ansatzpunkte für die Ermittler, durch den zweiten Mord wird die Lage nicht klarer. Hier setzt wieder der Charakter des Protagonisten an, der mit seiner Beständigkeit und stoischen Ruhe unbeirrt den Spuren nachgeht und sich stetig in Richtung Lösung des Falles bewegt.
„Wenn wir jetzt in den Massenmedien und später beim Prozess im Mittelpunkt des Interesses stehen, wachen vielleicht ein paar der „Nationalen Idioten“ auf und begreifen, was ihnen bevorsteht“
Wissend um die Lage vieler Griechen ob der katastrophalen Zustände und wechselhaften, schwachen Regierungen, fällt es beim Motiv nicht leicht, die Gruppierung zu verurteilen. Es sind Verzweiflungstaten, das wird recht schnell offenbar, die Täter haben nichts mehr zu verlieren, im Gegenteil: Im Gefängnis ist wenigstens die nächste Mahlzeit gesichert. So bleibt letztlich ein fahler Beigeschmack, ist Athen doch nicht vor unserer europäischen Haustür, sondern Mitglied unserer europäischen Familie.
Ein herzlicher Dank geht an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Autor und Buch finden sich hier.
September in Athen, endlich Urlaubszeit für Kostas Charitos und seine Frau Adriani. In Epirus lernen sie im Hotel drei Rentnerinnen kennen, die sie die „Drei Grazien“ taufen und mit denen sie sich prächtig verstehen. Zurück Zuhause halten sie Kontakt mit den Damen und treffen sich regelmäßig zum gemeinsamen Essen, auch weil Kostas an einem aufsehenerregenden Fall arbeitet und sie wie das ganze Land neugierig sind, was dahintersteckt. Zuerst wird der Minister Klearchos Rapsanis mit einer vergifteten Torte getötet, kurz danach der Staatssekretär Archontidis beim Joggen überfallen und erschlagen und zuletzt wird Professor Stelios Kostopoulos tödliche Blausäure injiziert. Nach allen drei Morden gehen Bekennerschreiben ein, die eine eindeutige Verbindung schaffen: all drei waren politisch aktiv und haben dafür ihre Posten an der Universität ruhen lassen. Leidtragend waren einzig die Studenten, denen die Lehrer fehlten, wohingegen die Herren bequem nach Ende des Ausflugs ins politische Haifischbecken zurückkehren konnten. Für den Mangel an Anstand und Rücksicht auf die nachfolgende Generation sollten sie bezahlen. Dass dahinter keine Einzelperson stecken kann, ist offenkundig, aber welche Organisation ist zu gleich drei Morden fähig?
Bereits seit 1995 lässt Petros Markaris seinen charismatischen Kommissar Charitos in Athen ermitteln, die „Drei Grazien“ sind sein nunmehr 12. Fall, der wie gewohnt aktuelle politisch-soziale Entwicklungen in Griechenland thematisiert und dabei auch das Privatleben des Ermittlers, der erfreulicherweise so gar nicht den gängigen Klischees entspricht, weiterverfolgt. Im aktuellen Roman greift er die prekäre Situation der Universitäten auf, die wie alle öffentlichen Institutionen wegen der anhaltenden Krise unter Geldmangel leiden, was sich bei ihnen dadurch verschärft, dass zahlreiche Dozenten sich als Politiker versuchen und dafür ihre universitären Aufgaben ruhen lassen ohne dass es für sie einen Ersatz gäbe. Scheitern ihre politischen Ambitionen, kehren sie zurück in den Schoß der Alma Mater und machen weiter, als wenn nichts geschehen wäre.
Der aktuelle Fall lässt den Kommissar lange Zeit im Dunkeln tappen, da sein Vorgesetzter sich gerade in den Ruhestand verabschiedet hat, lastet eine zusätzliche Bürde auf Charitos, da er direkt dem Polizeipräsidenten und Minister berichten muss. Viele Ermittlungsrichtungen und zugleich keine wirklich heiße Spur bei höchstem politischem Druck erhöhen sie Spannung. Diese ist jedoch einmal mehr nicht das, was die Kriminalromane von Petros Markaris auszeichnen. Für mich liegt seine Stärke in der impliziten Gesellschaftskritik, die auch deutlich macht, wie sehr er seine Heimat liebt und wie es ihn offenkundig schmerzt, die Entwicklungen der vergangenen Jahre mitanzusehen.
Auch wenn in Deutschland die Vermischung von Hochschule und Politik nicht im gleichen Maße vorhanden ist wie in Griechenland, hat mich doch eine Aussage einer Figur aufhorchen lassen. Als Charitos den emeritierten Professor Seferoglou zu den universitären Strukturen befragt, erläutert dieser:
„Heutzutage gibt es aber gar keine Gelehrten mehr, sondern nur noch Intellektuelle, Herr Kommissar.“
„Und worin liegt der Unterschied?“, frage ich verblüfft.
„Gelehrte sind Menschen, die ihr Leben in Bibliotheken, mit Studien und wissenschaftlicher Arbeit verbringen. Intellektuelle sind Spezialisten für alles und jedes. Gelehrte verfügen über Wissen, Intellektuelle über eine Meinung, die sie gerne und bei jeder sich bietenden Gelegenheit kundtun. (…) Die Hochschullehrer sind zu Universitätspersonal verkommen, und die Gelehrten zu Intellektuellen.“ (S. 205f).
Wie sieht es also aus um unsere geistige Elite? Nur noch Menschen mit Meinungen, aber keine belesenen und gebildeten Gelehrten mehr? Sicherlich überspitzt formuliert, aber in einer immer schnelllebigeren Welt, in der Fakten von heute morgen schon veraltet sind, wo nicht das Wissen selbst, sondern nur noch die Kenntnis, wo man es nachlesen kann, zählt, erfährt der Mensch mit klassischer Bildung und umfangreichem Wissen im besten Fall gefälliges Lächeln, im schlechtesten Ignoranz und Verachtung. Und dabei hat man noch nicht die Frage gestreift, was man der nächsten Generation mitgibt und welches Vorbild man ist.
Ein Krimi, der über die Mordermittlung hinaus wie erwartet große Fragen aufwirft und dem Leser nicht nur einen Blick in das aktuelle Griechenland gewährt, sondern auch so manche Denkanstöße mitgibt.
Ein herzlicher Dank geht an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Autor und Roman finden sich auf der Verlagsseite.