Ingo Schulze – Die rechtschaffenen Mörder

Ingo Schulze – Die rechtschaffenen Mörder

Als Kind schon entdeckt Norbert Paulini die Literatur. Es ist der Nachlass seiner früh verstorbenen Mutter, die einst ein Antiquariat in Dresden eröffnete und dessen Bestände in die Hände des Jungen fielen. Er will einmal Leser werden, nicht mehr und nicht weniger und so kommt es 1977 nach einigen Umwegen zur Wiederöffnung des mütterlichen Antiquariats. Von überall aus der DDR her strömen die Menschen zu dem Sonderling, der alles über seine Schätze weiß, auch Frauen zieht er an, aber die Richtige will nicht dabei sein. Mit der Wende kommt auch für ihn ein Einschnitt und die Zeiten meinen es nicht gut mit ihm. Tapfer versucht er noch durchzuhalten oder wenigstens sein Dasein als Leser fortzuführen. Doch irgendwann wird alles zu viel.

„(…) verdienten erheblich mehr als er. Dafür war Norbert Paulini sein eigener Herr. Er lebte und handelte ausschließlich mit jenen Büchern, die ihn interessierten, und brauchte sich nicht mit Schul- und Kochbüchern, Steuerratgebern und Verkehrsatlanten herumzuschlagen. Was gingen ihn diese Dinge an? Er sah keinen Grund, von seinem Beruf Abstand zu nehmen.“

Ein Leben für die Literatur, nicht studiert und analysiert, sondern entdeckt und genossen, eigenständig durchgewühlt, sich die Welt der Autoren erarbeitet. Die Bücher als Türen zu einer anderen, größeren Welt verstehen, sich in ihnen verlieren und sie am liebsten alle behalten wollen – welcher Leser kennt nicht diese Träume? Das Dasein als Antiquar schmerzt Paulini, mitanzusehen, wie sich Menschen leichtfertig von diesen Schätzen trennen und wie auch er sie weiterverkaufen muss, wo er sie doch am liebsten alle unter seinem Dach beheimaten würde. Der Roman ist zunächst eine Hommage an die Bibliophilen, die mehr zwischen den gedruckten Seiten leben als in der Realität.

Doch die Zeichen der Zeit finden auch Eingang in die Geschichte und gänzlich kann Paulini die Welt vor seiner Tür nicht ignorieren. Der zweite und dritte Teil der Handlung schlagen daher einen gänzlich anderen Ton an, der zwar zu dem Niedergang – rein wirtschaftlich wie auch moralisch und mental – des Protagonisten passt, aber das Gesamtwerk irgendwie unfertig wirken lässt. Der Blickwinkel wird verschoben, es hat nun ein Autor namens Schultze das Wort, der über diesen Dresdner Sonderling schreibt, bevor wiederum dessen Lektorin auf Spurensuche in die Elbestadt reist.

Ich kann die Konstruktion als literarischen Kniff von Erzählung in der Erzählung und Doppelbödigkeit, um die Fiktion der Literatur nochmals zu unterstreichen, akzeptieren, aber leider wird alles für mich nicht rund, sondern wirkt holprig. Die Kapitalismuskritik ist angekommen, aber vielleicht wäre eine starke Figurenzeichnung und fiktive Biografie schlicht genug gewesen, der erhobene Zeigefinger erscheint schlicht zu sehr gewollt.