Alfred Bodenheimer – Der böse Trieb

Alfred Bodenheimer – Der böse Trieb

Schon seit Jahren trifft sich Rabbi Klein mit Viktor Ehrenreich für tiefgründige Gespräche. Sie sehen sich nicht oft, der Zahnarzt gehört auch nicht zu seiner Gemeinde, sondern wohnt im deutschen Lörrach. Doch nun hat er einen Termin verstreichen lassen und wird sich auch nicht mehr melden, denn Ehrenreich wurde in seinem Haus erschossen während seine Frau Sonja in Vietnam auf Reisen war. Dass es in der Ehe schon länger kriselte, war Klein bekannt, doch reicht das für einen Mord? Die deutsche Polizei scheint vor allem die Gattin im Visier zu haben. Auch wenn er sich dieses Mal raushalten will, schnell schon findet der Rabbi Anzeichen dafür, dass es Viktors Wohltätigkeit im Kongo sein könnte, die zu der unglaublichen Tat geführt hat.

Schon zum sechsten Mal lässt der Schweizer Professor für jüdische Literatur- und Religionsgeschichte Alfred Bodenheimer seinen Züricher Rabbi ermitteln. „Der böse Trieb“ spielt dieses Mal nicht unmittelbar in der jüdischen Gemeinde, Glaubensfragen bestimmen aber wieder ganz wesentlich das Handeln der Figuren. Besonders interessant dieses Mal, dass der Autor mit Unschärfen arbeitet und Fragen offen lässt, auf die man als Leser selbst eine Antwort finden muss.

Die Serie lebt von ihrem Protagonisten, der Ermittler wider Willen setzt seinen Verstand ein und nimmt auch die Zwischentöne wahr. Was ihn jedoch nicht daran hindert, an anderer Stelle selbst immer wieder in unruhige Gewässer zu geraten, vor allem seine Frau Rivka zeichnet sich auch in diesem Fall durch eine starke Persönlichkeit aus, die ihrem Mann die Stirn bietet.

Der Fall bleibt bekannten Mustern treu, er lebt nicht von der ganz großen Spannung, sondern bietet immer wieder neue Spuren, die alle plausibel zu einem Motiv führen könnten und zutiefst menschlich sind. Die Figuren wirken durch und durch authentisch in ihren kleinen und großen Verfehlungen und reißen damit über den Kriminalfall hinaus essentielle Fragen des Lebens auf.

Einmal mehr eine gelungene Verbindung von Kriminalgeschichte und jüdischem Leben in Europa, das in diesem Band auch durchaus seine hinterfragenswerte Seiten offenbart.

Alfred Bodenheimer – Ihr sollt den Fremden lieben

alfred-bodenheimer-ihr-sollt-den-fremden-lieben
Alfred Bodenheimer – Ihr sollt den Fremden lieben

Der Züricher Rabbi Gabriel Klein ist zu einer Fernsehsendung eingeladen. Da all der Trubel zu viel Aufregung ist, lässt er versehentlich sein Handy liegen. Spät in der Nacht bemerkt er das Missgeschick und eilt erneut zum Sender; wer rund um die Uhr sendet, wird ihm ja auch zu später Stunde noch sein Handy zurückgeben können. Gerade als das Taxi ihn vor dem Studio absetzt, schießt ein Auto aus der Ausfahrt. Als sich Klein nähert, sieht er den bekannten Moderator Kim Nufener schwerverletzt am Boden liegen. Ungewöhnlicherweise ist auch unmittelbar ein Krankenwagen zugegen, doch das nutzt nichts, Nufener verstirbt. Als sich kurz darauf Lajser Morgenroth, ein jüdischer junger Mann, den Gabriel viele Jahre auf seinem Weg begleitete, bei ihm meldet, ahnt dieser, dass er erneut in einen Mordfall verwickelt wird. Lajser war Kims Partner, doch Kim hatte die Beziehung medienwirksam kurz zuvor aufgelöst – und Lajser ist nun der Hauptverdächtige. Als er Gabriel beichtet, dass er am Tatort war und vermutete, dass Kim einen neuen Partner hat, gerät der Rabbi in einen Konflikt.

Der unorthodoxe Rabbi kann mich auch in diesem vierten Band mit seiner charmanten und eigenwilligen Art überzeugen. Zum Leidwesen der Polizei ermittelt er einmal mehr auf eigene Faust und wie auch schon zuvor hilft ihm sein Wissen um das jüdische Leben im entscheidenden Moment. Überzeugender ist der Protagonist jedoch dadurch, dass er nicht zu schnellen Schlüssen neigt und zwar göttlichen Beistand sucht, jedoch menschlich agiert und seinem Herzen folgt und so auch schon einmal geltende Vorschriften lebensnah auslegt.

Der Fall erweckt zunächst den Anschein sehr einfach konstruiert zu sein. Dass es kein Mord aus Eifersucht war, liegt auf der Hand, das wäre nun doch arg zu schlicht. Aber die Liste mit Namen, die Lajser bei Kim findet, weist schnell in eine sehr eindeutige Richtung, die wahrlich ausreichend Motiv für einen Mord liefert. Doch weit gefehlt, Bodenheimer hat sich etwas gänzlich Anderes ausgedacht und kann damit wirklich überraschen. Das Agieren der Figuren ist glaubwürdig motiviert und der Fall wird durch die Komplexität zunehmend authentischer.

Ebenso gelingt es dem Autor einmal mehr theologische Auslegungen mit einem Krimi zu verquicken ohne dass dies an irgendeiner Stelle dröge oder gar gezwungen wirken würde. Als Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an der Universität Basel, ist er fachlich versiert, als Krimiautor weiß er dies zu nutzen und gekonnt einzusetzen, um seine Roman so aus der Masse der Erscheinungen hervorzuheben. Wie auch in „Kains Opfer“ bleibt für mich nur das Fazit eines rundherum gelungenen Romans.

Alfred Bodenheimer – Kains Opfer

alfred-bodenheimer-kains-opfer
Alfred Bodenheimer – Kains Opfer

Der Mord an einem Mitglied seiner Gemeinde bestürzt Rabbi Klein. Der sympathische Lehrer war doch überall beliebt! Zwar hat man sich gewundert, dass er ledig war, aber nie gab es schlechte Worte über ihn. Auch die Polizei ist etwas ratlos. In seinem Computer findet die Polizei E-Mails in hebräischer Sprache, da ihre übliche Übersetzerin ausgefallen ist, bittet die Kommissarin Bäzinger Rabbi Klein diese zu übersetzen. Schnell wird er fündig, offenbar hatte Nachum Berger eine Affäre mit einer verheirateten Frau – war es also ein Mord eines Ehemanns aus Rache an seinem Widersacher? Bei der Vorbereitung auf die Trauerrede stößt Rabbi Klein jedoch auf noch mehr Ungereimtheiten: warum verließ Berger seine Stelle in Chicago schon nach kurzer Zeit wieder, obwohl er beste Zeugnisse erhielt? Und weshalb wurde er dort als „verheiratet“ geführt, in Zürich gab er jedoch an ledig zu sein? Offenbar kannte der Rabbi sein Gemeindemitglied bei weitem nicht so gut wie er dachte.

„Kains Opfer“ ist der erste von inzwischen vier Romanen um den schweizer Rabbi Klein, der gerne auf unorthodoxe Weise eigene Ermittlungen durchführt. Der Autor Alfred Bodenheimer weiß, worüber er schreibt, als Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an der Universität Basel ist er bestens vertraut mit dem jüdischen Leben, das sich auch im Krimi niederschlägt.

Dies war für mich auch der interessanteste Aspekt an dem Roman. Wie der Titel schon suggeriert, wird in der Handlung immer wieder auf die Geschichte von Kain und Abel zurückgegriffen, dem ersten Mord in der Bibel. Jedoch zeigt der Rabbi auch, dass sich vieles nicht auf ein einfaches schwarz-weiß Schema reduzieren lässt und unser Leben und Handeln komplexer ist. Die Kränkung, die Kain durch die Nichtannahme seines Opfers durch Gott erfährt, gepaart mit dem Neid und Zorn auf seinen Bruder, lässt ihn schließlich den Brudermord begehen und so Sünde auf die Erde bringen. Rabbi Klein selbst gerät ebenfalls in die Situation, zu wissen, was gut und richtig wäre und dennoch auch nachvollziehbaren Motiven anders zu handeln.

Der Mordfall als solches ist überschaubar komplex, bietet jedoch, nachdem der Fall anfangs schon fast zu offenkundig erscheint, unerwartet weitere Facetten, die tief mit den jüdischen Gepflogenheiten verbunden sind und erst durch diese ihren tieferen Sinn erhalten und das Mordmotiv erklären. Insgesamt ein anspruchsvoller Kriminalroman, der nicht nur einen Mordfall schildert, sondern diesen überzeugend mit dem jüdischen Leben und Denken verzahnt.