David Lagercrantz – Der Mann aus dem Schatten

David Lagercrantz – Der Mann aus dem Schatten

Nach dem Fußballspiel einer Jugendmannschaft wird der Schiedsrichter Jamal Kabir erschlag in einem benachbarten Wäldchen aufgefunden. Der Verdacht fällt schnell auf einen Vater, der schon während des Spiels ein erhitztes Gemüt gezeigt hat und im Viertel für seine Ausbrüche bekannt ist. Einzig die Beweise oder ein Geständnis fehlen der Polizei, weshalb Micaela Vargas ins Team der Mordermittlung geholt wird. Sie stammt aus demselben Viertel wie der Verdächtige und kennt diesen seit Kindheitstagen; vielleicht kann sie ihn dazu bewegen, die Tat zu gestehen. Micaela kommen jedoch schnell Zweifel, die noch verstärkt werden, nachdem die Polizei den berühmten Psychologen Hans Rekke hinzuzieht. Die junge Polizistin will den Fall aufklären, stößt aber bald auf Widerstände und wird schließlich ganz abgezogen. Scheinbar hat sie die richtigen, aber unerwünschten Fragen gestellt.

Der Journalist und Autor David Lagercrantz konnte mich mit seinen Fortsetzungen der Stieg Larsson Reihe um Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist bereits begeistern. „Der Mann aus dem Schatten“ ist die Eröffnung seiner Reihe um den manisch-depressiven Psychologen Hans Rekke und die unerschrockene Ermittlerin Micaela Vargas. Auch wenn der erste Fall in sich abgeschlossen sind, sind doch schon viele Hinweise angelegt, die sogleich neugierig auf die folgenden Bände machen.

Lagercrantz lässt seine Handlung um Jahr 2003 starten, was zunächst verwundert, im Laufe der Geschichte enthüllt sich jedoch, dass sie in einem damals aktuellen politischen Kontext steht und weit über den kleinen Sportplatz in Stockholms Außenbezirk hinausgeht. Das bedauernswerte Opfer, ein aus Afghanistan Geflüchteter, hatte sich scheinbar gut in Schweden eingelebt und sich im Jugendsport engagiert. Dass ein väterlicher Ausraster zu so einer Tat führt, kann schnell verworfen werden. Nun jedoch stellt sich die Frage, ob Jamal Kabir wirklich der Mann war, wie ihn alle kannten.

Die beiden Protagonisten Micaela und Hans könnten gegensätzlicher kaum sein, was sie zu einem nicht unkomplizierten, aber sich hervorragend ergänzenden Team macht. Beide sind mit interessanten Charakterzügen ausgestattet und haben komplexe Familiengeschichten im Hintergrund, die noch viel Raum für Entwicklungen bieten. Mich konnten sie beide unmittelbar für sich gewinnen.

Der Schlüssel zur Lösung des Falls ist nicht leicht zu finden und Lagercrantz integriert geschickt psychologische Aspekte, die durch Rekke eingebracht werden, wie auch die politisch brisante Lage, die durch US-amerikanische Operation „Enduring Freedom“ in Afghanistan ausgelöst wurde. Micaela hingegen ist die Figur, die zwischen den unterschiedlichen Welten der verschiedenen Gesellschaftsschichten wandert und ein feines Gespür für Zwischentöne zeigt und unerschrocken für die Wahrheit kämpft.

Ein packender Politthriller, der fraglos Lust auf weitere Bände der Reihe macht.

Ein herzlicher Dank geht an das Blogger Portal und die Penguin Random House Verlagsgruppe. Mehr Informationen zu Autor und Buch finden sich auf der Verlagsseite.

Hillary Rodham Clinton/Louise Penny – State of Terror

Hillary Rodham Clinton/Louise Penny – State of Terror

Unerwartet hat der neue amerikanische Präsident Williams seine schärfste Kritikerin zu seiner Außenministerin gemacht. Ellen Adams hat schnell verstanden, weshalb, indem sie für den Posten ihr Medienimperium aufgibt und an seiner Seite arbeitet, kann er sie besser kontrollieren und geschickt Fallen stellen, um sie öffentlich zu demütigen. Als eine Serie von Bombenanschlägen Europa erschüttert, sind sie jedoch gezwungen, zusammenzuarbeiten, denn im Auswärtigen Amt ging zuvor eine Warnung ein. Ausgerechnet aus dem Iran, dem verhassten Erzfeind. Schnell erkennen Williams und Adams, dass die Bedrohung vielleicht nicht unbedingt aus dem Mittleren Osten kommt, auch wenn dort mit Bashir Shah ein gewiefter Physiker sitzt, der im Verdacht steht, eine Atombombe zu bauen und meistbietend an Schurkenstaaten oder Terrororganisationen zu verhökern.  Die Zeit läuft ihnen davon und das bei einer diffusen Bedrohungslage, bei der die Grenzen zwischen Freund und Feind fließend sind.

Ebenso wie ihr Mann, der bereits zwei Politthriller auf den Markt geworfen hat, hat sich die ehemalige Außenministerin Hillary Rodham Clinton nach Ende der politischen Karriere jener der Literatur verschrieben. Dazu hat sie sich mit Louise Penny eine routinierte und erfolgreiche Autorin gesucht, mit der die Geschichte für meinen Geschmack überzeugend umgesetzt wurde. Es ist ein klassischer Thriller im Politikmilieu, der mit der Angst vor einer unbekannten Gefahr spielt und die bekannten Akteure des politischen Spiels einbindet. Dass damit auch der Mythos des einsamen amerikanischen Helden, der sich und seine Familie hinter die Interessen des Landes stellt, bedient wird, war zu erwarten und sehe ich nicht als Makel, denn die Handlung ist spannungsgeladen, wird mit hohem Tempo erzählt und schließlich schlüssig gelöst.

Ellen Adams zeichnet sich durch einen scharfen Verstand und schnelle Auffassungsgabe auf. Indem man ihren Mann zum Opfer des gesuchten Atombombenbauers macht und auch ihr Sohn bereits in den Händen islamistischer Terroristen war, hat sie auch ganz persönliche Motive, sich den Agitatoren der Krisenregion entgegenzustellen. Als Figur sicherlich in mancher Hinsicht überzeichnet – die ganze Familie einzubinden, derart hoch zu pokern und geschickt die Herrscher in ihrem Sinne zu manipulieren – andererseits sind das die meisten Helden in diesem Genre und bekanntermaßen ist auch ein James Bond halbtot in der Lage, alleine die Welt zu retten.

Die Handlung integriert geschickt die politischen Verschiebungen der letzten Jahre und wirkt dadurch glaubwürdig und durchaus real vorstellbar. Dass in geheimen Laboren Atombomben oder auch andere Waffen, egal ob atomar, biologisch oder chemisch, hergestellt werden könnten, um Rache an der westlichen Welt zu nehmen, dürfte niemand ernsthaft in Zweifel ziehen.  

Der Thriller wurde vielfach harsch kritisiert. Die Argumente sind durchaus nachvollziehbar, die Abrechnung mit dem ehemaligen Präsidenten – Parallelen zu realen Personen sind vermutlich rein zufällig – erfolgt nicht gerade subtil, letztlich ist er es sogar, der entscheidend zu dem Chaos und der Bedrohung beigetragen hat. Ich fand die Seitenhiebe oftmals köstlich und amüsant, da passte jedes Wort.

General Whitehead seufzte. „Bashir Shah ist wieder auf freiem Fuß? Das ist in der Tat ein Problem.“

„Und zwar ein größeres, als Sie glauben. Angeblich haben wir dafür unseren Segen gegeben.“

„Wir?“

„Die ehemalige Regierung.“

„Das ist unmöglich. Wer wäre denn dumm genug… Ach. Vergessen Sie, dass ich gefragt haben“

Die Außenministerin ist die überragende Figur und damit wohl eher von Wunschtraum Clintons. Aber mal ehrlich: wer greift nicht auch zu Literatur, um das zu durchleben, was man im echten Leben nicht hat oder nicht ist? Warum sollte ihr es dann nicht auch als Autorin gestattet sein, die Figur, die gewisse Ähnlichkeit zu ihr aufweist, etwas aufzuhübschen? Mich hat’s nicht gestört.

Das Wissen Clintons aus dem inneren Zirkel der Macht gepaart mit Pennys Schreibtalent – eine spannende und gelungene Kombination, die gerne fortgesetzt werden darf.

Kai Havaii – Rubicon

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Kai Havaii – Rubicon

Eine wilde Verfolgungsjagd kostet Carl Overbeck in Rom beinahe das Leben. Die Killer wissen, was sie tun und vor allem, was sie wollen: ihn tot sehen. Doch wie konnte es so weit kommen? Einst war er Elitesoldat in Afghanistan, diente seinem Heimatland und war überzeugt davon, das Richtige zu tun und für die richtigen Werte einzustehen. Doch ein furchtbarer Anschlag und die nicht gelungene Rückkehr in die deutsche Normalität haben ihre Spuren hinterlassen. Als ein Kindheitsfreund ihm ein verlockendes Angebot macht, schlägt er ein, wissend, dass er sich in die Dienste der Mafia stellt. Der zweifelhafte Job ist lukrativ, jedoch nicht sorgenfrei, wenn man ein Gewissen besitzt und vor allem nicht, wenn man sich verliebt. Doch Carl hat den Rubikon überschritten, seine Entscheidung für eine Seite kann er nicht mehr rückgängig machen.

Kai Havaii ist eher bekannt als Sänger der Band Extrabreit, die besonders in den 1980ern den Musikmarkt mitbestimmte. Als Autor ist er bislang nur durch seine Biografie aufgefallen, die 2007 erschien. Nun also sein erster Roman, der inhaltlich gleich hochgreift: Bundeswehreinsatz in Afghanistan, Mafia, Serienkiller – gleich mehrere heiße Themen in eine Geschichte zu verpacken ist schon gewagt.

Wer auf actiongeladene Thriller, eher noch in verfilmter als in geschriebener Form steht, wird eine große Freude an dem Roman haben. Mein Genre ist das nicht, weshalb ich nicht vor Begeisterung überborde, auch wenn ich durchaus anerkenne, dass Havaii solide Arbeit geliefert hat. Die Handlung ist gut konzipiert, auch wenn für meinen Geschmack vieles recht vorhersehbar war. Die Figuren sind glaubwürdig gezeichnet, vor allem Carls Schwierigkeiten nach der Rückkehr vom Auslandseinsatz wirkte auf mich überzeugend. Nicht so sehr gewinnen konnten mich die ausufernden Beschreibungen der Kampfhandlungen in Afghanistan und später die Ballerszenen, das muss man mögen. Ebenso fand ich die Erklärungen zur Struktur der ‘Ndrangheta etwas zu langwierig, für den Handlungsverlauf wären die detaillierten Ausführungen nicht erforderlich gewesen.

Insgesamt ein solider Thriller seines Genres, der jedoch für mich stark den Eindruck erweckt, dass er eigentlich eher ein Drehbuch für einen Film hätte sein wollen.

Anna Tell – Vier Tage in Kabul: Die Unterhändlerin

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Anna Tell – Vier Tage in Kabul: Die Unterhändlerin

Um lokale Sicherheitskräfte auszubilden ist die schwedische Kommissarin Amanda Lund für einige Zeit in Afghanistan stationiert. Als ein Diplomatenpaar verschwindet, soll sie sich darum kümmern. Der schwedische Botschafter ist zunächst nur widerwillig kooperativ, muss dann aber einräumen, dass er erpresst wird: ein Bild, das ihn in indiskreter Situation mit zwei Männern zeigt, macht ihn angreifbar. Doch statt die Forderung, Heroin über den Dienstweg nach Schweden zu versenden, zu befolgen, hat er selbiges vernichtet. Ein dummer Fehler wie nun scheint. Doch als auch in Stockholm ein Mitarbeiter des Außenministeriums ermordet aufgefunden wird und immer noch keine Lösegeldforderung für die beiden Diplomaten eingegangen ist, wirft der Fall mehr und mehr Fragen auf. Dass ein Staatsbesuch ansteht, um die erfolgreiche Zusammenarbeit der beiden Länder zu feiern, hilft Amanda auch nicht gerade. Die Zeit läuft davon, sie soll schleunigst Ergebnisse liefern und ist dabei selbst in größter Gefahr.

Die Autorin verfügt selbst über fundierte Erfahrung in der Polizeiarbeit, als Politologin und Kommissarin hat sie mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung sammeln können, die sie in ihrem Debütroman verarbeiten konnte. Rausgekommen ist ein überzeugender Thriller, der kleinkriminelle Motive mit internationaler Politik verknüpft und mit einer starken Protagonistin punkten kann.

Dies ist das erste, was als eher außergewöhnlich im Genre der Politthriller auffällt: selten tummeln sich hier Frauen in entscheidenden Positionen und vor allem so nah am Kampfgeschehen. Dass Amanda ausgerechnet in einem muslimischen Land, in dem Frauen jahrzehntelang gnadenlos unterdrückt wurden, das Kommando innehat, erstaunt umso mehr. Aber sie zeigt geschickt, dass das Geschlecht zweitrangig ist und für ihre Aufgabe keinerlei Rolle spielt: sie muss rasch Puzzlesteine in Verbindung bringen können, schnell Entscheidungen treffen und sich auch gegen starke Gegner durchsetzen. Dennoch verliert sie zu keinem Zeitpunkt ihre feminine Seite, was die Autorin durch einen interessanten Aspekt einbaut, der jedoch die starke Frau auch ein Stück weit wieder zurück in die Realität wirft, in der Frauen doch häufig genug hintenanstehen müssen.

Der fall selbst ist komplex und vielschichtig, wird aber glaubwürdig und sauber gelöst, so dass keine losen Fäden übrigbleiben. Thematisch aktuell hat man keine Zweifel daran, dass dies real genau so auch geschehen könnte. Die kurzen Kapitel mit den häufigen Ortswechseln tragen zu dem gefühlt hohen Tempo der Handlung bei. Ein gelungener Auftakt, der neugierig macht auf weitere Romane der Reihe. Mit Anna Tell hat Schweden offenkundig eine weitere brillante Autorin im Spannungsgenre zu bieten.

 

Ein herzlicher Dank geht an den Rowohlt Verlag für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zur Autorin und zum Roman finden sich auf der Verlagsseite.