Bernhard Schlink – Die Enkelin

Bernhard Schlink – Die Enkelin

Kaspar hat es kommen sehen, zu häufig schon war seine Frau Birgit zu betrunken, um noch zu verstehen, was sie tat. Und nun ist das Unglück geschehen, sie muss in der Badewanne eingeschlafen sein. In den Monaten zuvor hatte sie intensiv an einem Roman gearbeitet, doch ihr Computer ist kaputt, einem Experte gelingt es jedoch die Daten zu retten. Was Kaspar liest, erschüttert ihn, offenbar kannte er die Frau kaum, mit der jahrzehntelang das Leben geteilt hat, vor allem trug sie ein Geheimnis in sich, das den Buchhändler in das völkische Milieu führt. Er ist abgestoßen von dem nationalen Gedankengut und der feindseligen Haltung, auf die er dort trifft. Auch die junge Sigrun ist indoktriniert und fest von der Richtigkeit des rechten Weltbildes überzeugt. Kann Kaspar ihr eine andere Welt zeigen?


Bernhard Schlink gelingt es immer wieder Romane zu schreiben, in die man sich einlesen muss und die dann plötzlich einen Sog entwickeln, der einen in die Geschichte zieht und gefangen hält. Auch „Die Enkelin“ ist so ein Roman, der mich vor allem durch die starke Figurenzeichnung überzeugen konnte. Es ist das Aufeinandertreffen sich widersprechender und ausschließender Überzeugungen, die zugleich von Zuneigung und gemeinsamer Liebe zur Musik  herausgefordert werden. Es ist sicher kein Wohlfühlroman, sondern eine komplizierte Auseinandersetzung damit, wie das Leben manchmal spielt. 


Die erste Konfrontation erleben Kaspar und Birgit. Er aus dem Westen, sie aus der DDR. Für die Liebe ist er bereit, alles aufzugeben, doch sie hat sich schon längst von dem sozialistischen Staat abgewandt und wagt die gefährliche Flucht. Birgit war bereit, alles hinter sich zu lassen, alles aufzugeben, doch so einfach lässt sich ein Leben nicht abschütteln, man nimmt immer etwas mit und weil sie dies nicht teilen kann, ist sie bereit viele Jahre im Stillen zu leiden.


Ebenso wie von seiner Frau wird Kaspar auch von Sigruns Familie ausgeschlossen. Sie leben in einer abgeschotteten Gemeinschaft, die sich ihre eigene Welt geschaffen hat. Sie brauchen keine Mauern von außen, sie haben sich selbst eingemauert in ihren Überzeugungen und erziehen die Kinder im völkischen Sinne. Trotz seiner Aufgeschlossenheit und hoher Toleranz kommt Kaspar dort an seine Grenzen, doch er will das Mädchen nicht so einfach aufgeben. Argumente allein reichen nicht, er muss andere Wege finden, um sie zu erreichen und ihr Weltbild infrage zu stellen. Keine leichte Aufgabe, die sich der Senior da vorgenommen hat.


Schlink greift kein einfaches Thema auf, setzt dieses aber überzeugend und nachdenklich stimmend um. Der Roman fordert den Leser heraus, sich selbst den Dilemmata zu stellen, mit denen die Figuren konfrontiert sind, bietet keine einfachen Antworten, denn die kann es nicht geben, auch Kompromisse nicht nicht immer möglich. Die Realität ist komplex und mehrdimensional, Schlink fängt dies ein und macht ein Angebot zum Nachdenken, das Höchste, was Literatur erreichen kann. 

Kent Haruf – Ein Sohn der Stadt

Kent Haruf – Ein Sohn der Stadt

Samstagnachmittag im November, ein roter Cadillac, der auf der Hauptstraße parkt. Erst interessiert sich niemand für ihn, doch dann wird man aufmerksam und noch mehr steigt die Neugier in dem kleinen Ort Holt in Colorado, als sich rumspricht, wer in dem Wagen sitzt: Jack Burdett, berühmtester Sohn der Stadt, einst hoffnungsvoller Footballstar und Retter der Farmer Kooperative. Bis er verschwand und mit ihm ein Haufen Geld der Kooperative, seine Frau und die Kinder ließ er zurück. Nach acht Jahren ist er nun also wieder da und kann nicht auf einen freudigen Empfang hoffen, denn die Wunden, die er gerissen hat, sind noch immer nicht verheilt. Pat Arbuckle, Lokaljournalist und ehemals bester Freund von Jack, ist ebenso gespannt wie alle andere, doch er hat noch einen ganz anderen Grund sich für den Rückkehrer zu interessieren als die lange zurückliegenden Ereignisse.

Kent Haruf erzählt in seinem Roman die Geschichte eines Lebens und einer Kleinstadt in ihrer verhängnisvollen Wechselwirkung. Der gefeierte Sportler, dem man alles verzeiht und der dank seiner Ausstrahlung immer wieder auf die Füße fällt, egal, was er anstellt, bis er den Bogen überspannt und dennoch den Ort weiter in seinem Griff hält. Aber Holt ist es auch, das ihn zu dem hat werden lassen, was er ist, und so müssen die Bürger auch ein Stück weit mit ihrer eigenen Schuld leben.

Man könnte glauben, dass eine amerikanische Kleinstadt im Mittleren Westen der 1960/70er Jahre nicht wirklich reizvoll für einen Roman ist. Dem Autor gelingt es jedoch, den Leser sofort zu packen und man will wissen, wie es dazu kommen konnte, dass der Sohn der Stadt verschwand und wie die offenkundig noch offenen Rechnungen beglichen werden. Vor allem das subtile Foreshadowing, das Andeuten von dem, was geschehen wird, gelingt Haruf meisterhaft und so kreiert er eine Spannung, die bis zur letzten Seite fesselt.

Auch wenn Jack und Pat nicht wirklich Antagonisten sind, wird an ihnen beiden doch der Kontrast zwischen den Lebensentwürfen verdeutlicht. Jack ist bildungsfern, dafür verfügt er jedoch über Kraft, die er auf dem Spielfeld und der lokalen Fabrik gewinnbringend einsetzen kann. Pat hingegen weiß, dass er die Zeitung seines Vaters irgendwann übernehmen wird und folgt dem vorgezeichneten Plan Schule – Studium – Zeitung – Familiengründung. Immer wieder kreuzen sich die Wege, während Pat geradeaus geht, mäandert Jack und schafft es immer wieder, Menschen für sich zu gewinnen und sich so neue Chancen zu eröffnen. Dabei agiert er jedoch rücksichtslos und egoistisch, was aber niemanden zu stören scheint.

Es ist aber auch die Geschichte des Kleinstadtlebens, wo nichts verborgen bleibt, jeder jeden kennt und in erster Linie: wo die Männer das Sagen haben. Die Frauen leiden still und ertragen unwidersprochen den Platz, den man ihnen zu weist. Wanda Jo, die Jack über Jahrzehnte anhimmelt und alles für ihn tun würde, muss die öffentliche Demütigung ertragen; auch Pats Frau, die aus der Großstadt kam und Kunst und Kultur liebte, stellt ihre Bedürfnisse hinter jene ihres Mannes und mimt 18 Jahre lang schweigend die brave Hausfrau und Mutter. Nur Jessie, Jacks Frau, wagt es irgendwann, laut die Stimme zu erheben, was jedoch relativ pikiert zur Kenntnis genommen wird.

Eine sprachlich und gestalterisch grandiose Kleinstadtstudie, die restlos begeistert.