Claire McGowan – The Lost (dt. Bittet nicht um Gnade)

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Claire McGowan – The Lost (dt. Bittet nicht um Gnade)

Nachdem sie in London bereits durch ihre Hilfe bei Vermisstenfällen aufgefallen ist, bietet man der Psychologin Paula Maguire die Mitarbeit in einer neuen Lost Case Gruppe an. Der Haken: diese sitzt in Ballyterrin, ihrer nordirischen Heimatstadt, in die sie eigentlich nie mehr zurückkehren wollte. Wegen ihres Vaters nimmt sie trotzdem an, doch statt an Altfällen zu arbeiten, muss die Gruppe sich mit aktuellen Vermisstenfällen beschäftigen. Gleich zwei Teenager sind verschwunden, eine Verbindung scheint es jedoch nicht zu geben, die eine aus reichem Elternhaus und Schülerin einer katholischen Mädchenschule, die andere gehört zu einer Gruppe von Travellers, die ihr Lager am Rand der Stadt aufgeschlagen haben. Bei Vermisstenfällen bleibt wenig Zeit, Paula weiß jedoch auch, dass manche Menschen einfach verschwinden und nicht gefunden werden wollen. Was das Team jedoch bald schon stutzig macht, ist die Tatsache, dass schon seit Jahrzehnten in der Umgebung eine ungewöhnlich hohe Zahl von jungen Frauen scheinbar spurlos vom Erdboden verschluckt wird.

Für mich ist Claire McGowan eine der Autorinnen, die mich im Krimigenre immer wieder begeistern können. „The Lost“ (dt. Bittet nicht um Gnade), der erste Band ihrer Reihe um die Psychologin Paula Maguire bietet auch genau das, was ich erwartet habe: einen spannenden Kriminalfall, interessante Figuren und die Handlung eingebettet in die Umgebung, die in diesem Fall an der Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland verläuft. Die Troubles sind zwar lange vergangen, aber die Figuren können die Geschichte, die sie unweigerlich in sich tragen, nicht völlig ausblenden.

Gerade diesen Aspekt hat die Autorin unaufdringlich, aber überzeugend mit der Handlung verwoben. Schon bei der Vorstellung des Teams sortiert Paula ihre Kollegen schon auf Basis der Namen unweigerlich in Katholik/Protestant, diese Seite oder die andere. Dass der Teamleiter ausgerechnet Engländer ist und ihm entsprechend so manch sensible Situation nicht bewusst ist, gestaltet die Zusammenarbeit auch nicht leichter. Immer wieder werden die Figuren mit dem Thema konfrontiert, wobei es nicht um politische Fragen geht, sondern um die eigene Familie und die Rolle, die diese einnahm, sowie die Verantwortung für das eigene Handeln, aber auch jener, die man eigentlich zu den engsten Vertrauten zählt.

Schon zu Beginn wird thematisiert, dass Paula nur zögerlich nach Nordirland zurückkehrt, ihre Vorgeschichte wird im Verlauf nach und nach aufgelöst und lässt so eine interessante und vielschichtige Figur, die oft weit von der Superheldin entfernt ist, entstehen. Die Vermisstenfälle scheinen zunächst einen klaren Bezug zu einem kirchlichen Jugendzentrum zu haben, das viele Mädchen regelmäßig besuchten. Hieraus entspinnt sich eine Geschichte, die ein tragisches und schändliches Thema der jüngeren irischen Vergangenheit aufgreift und in dessen Zentrum die katholische Kirche steht, die sich so gar nicht barmherzig und menschenfreundlich zeigt, wobei man dies vielleicht präzisieren muss: junge Frauen standen nicht unter besonderem Schutz, ganz im Gegenteil.

Kein Krimi, der von schnellem und actionreichem Tempo lebt, sondern eine bemerkenswerte und nachdenklich stimmende Geschichte auch jenseits der Spannung zu erzählen hat.