
Eine junge Frau wird in Gewahrsam genommen, die hat einen Mann attackiert und verletzt. Herr K. befragt sie und sie erzählt. Von ihrer Arbeit als Übersetzerin. Als Mittlerin zwischen Asylsuchenden und Behörde, als Brücke zwischen Vergangenheit und einer möglichen Zukunft, als Beispiel für den gelungenen Anfang im neuen Land. Sie soll einfach nur die Worte wiedergeben, wie eine Maschine neutral sein und nicht kommentieren, was sie hört. Offenkundige Lügen und gut getarnte Schwindeleien, brutale Vergewaltigungen und Anweisungen der Anwälte, die richtigen Worte zu wählen, um das Verfahren nicht zu gefährden. Tagtäglich ist sie nicht nur dem Leid, sondern auch den Anfeindungen ausgesetzt, dabei soll sie unsichtbar sein und vor allem außerhalb des Büros verschwinden. Für die einen ist sie nur ein Hilfsmittel, um die Sprachbarriere zu überwinden, für die anderen ist sie der Dreh- und Angelpunkt, der über ihr Leben entscheidet und eben auch schuld ist, wenn das Verfahren nicht wie gewünscht ausgeht.
Der Titel des Romans ist schon Provokation und der folgende Text steht diesem in nichts nach. Auch wenn er auf ein Prosagedicht Charles Baudelaires zurückgeht („Assommons les pauvres!“), bleibt er doch hart und verheißt nichts Gutes. In ihrer fiktiven Erzählung greift die indisch-stämmige Shumona Sinha auf ihre realen Erfahrungen als Dolmetscherin bei der französischen Migrationsbehörde zurück. Man kann davon ausgehen, dass viele der geschilderten Episoden auf wahren Begebenheiten beruhen und Einblick in eine bisher weitgehend unbeleuchtete Perspektive in der Flüchtlingsdiskussion geben.
Sie berichtet von der Not zu lügen, denn nur wer politisch oder religiös motivierte Verfolgung in der Heimat erlebt, hat eine Chance auf ein Bleiberecht. Dass die passenden Geschichten bisweilen jeglicher Glaubwürdigkeit entbehren, die Vortragenden nicht einmal die wichtigsten Feiern ihrer vorgeblichen Religion kennen – es ist fast komisch und so geht es auch der Dolmetscherin, die ob der Absurdität einmal einen Lachanfall bekommt. Aber sie berichtet auch von der Verachtung, die ihr als Frau widerfährt, die plötzlich über das Leben von Männern entscheiden kann:
„Sie durften meine Arbeit kritisieren, weil eine echte Frau nicht arbeitet. Keine Frau, die sie von Nahem oder Weitem kannten, keine Nachbarin im Dorf, war so tief gesunken, dass sie sich der Welt aussetzte und ihren Lebensunterhalt mühevoll alleine verdiente, als gäbe es auf der Welt keine Männer mehr!“
Mehr noch als mit der gelegentlichen Verachtung hat sie mit ihrer Rolle zu kämpfen. Sie erkennt sich in diesen Menschen nicht wieder, obwohl sie aus demselben Land stammt. Sie hört tagtäglich unheimliche Geschichten, hat aber keinen Raum, um ihre eigene Last abzuladen und das gehörte wieder loszuwerden. Der Zwiespalt zwischen dem Verständnis für die Asylsuchenden, deren Situation sie nur zu gut kennt und denen sie sich verpflichtet fühlt, aber auch der Loyalität zur neuen Heimat, bringt sie in eine permanente Anspannung, die sich nicht lösen lässt und die letztlich ihre eigene Identität in Frage stellt.
Das Thema Flucht und Asyl wurde zuletzt vielfach literarisch verarbeitet, Mohsin Hamid hat mit „Exit West“ und Imbolo Mbue mit „Behold the Dreamers“ einen hervorragenden Romane hierzu geschrieben. Auch Jenny Erpenbecks „Gehen, ging, gegangen“, Gitta Mikatis „Berlin Beirut“ und Abbas Khiders „Ohrfeige“ beleuchten die Situation aus Sicht der Geflüchteten sehr gelungen. Shumona Sinha wählt eine gänzlich andere Perspektive und deutlich kritischere Haltung, die eine gelungene Ergänzung zur derzeit wohl populärsten Thematik darstellt ohne dabei in das Fahrwasser rechter, nationalkonservativer Gruppierungen zu geraten.
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