Gedenken an die Anschläge vom 13. November 2015 – eine literarische Sicht

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artist: Jean Jullien

Am 13. November jähren sich die unsäglichen Anschläge von Paris als islamistische Attentäter an verschiedenen Orten im 10. und 11. Arrondissement sowie in Saint-Denis wahllos auf Menschen feuerten und insgesamt rund 130 Menschen töteten und über 300 verletzten. Man kann diese Anschläge nicht verstehen, auch die Motivation der Täter zu ergründen ist nicht einfach. Die Thematik jedoch hat auch zahlreiche Autoren inspiriert, sich literarisch damit auseinanderzusetzen und es gibt unzählige wirklich lesenswerte Bücher, nicht nur zu den Vorfällen in Paris.

1 Die Sicht der Opfer – Sachbuch

Sehr beeindruckt hat mich Antoine Leiris, dessen Frau im Bataclan Theater umgekommen ist und der nun allein mit dem 17 Monate alten Sohn weiterleben muss. Er hat in den ersten Tagen direkt nach der Tat niedergeschrieben, was ihm durch den Kopf ging und so einen ganz unmittelbaren Eindruck geschaffen von dem Leid und der Verzweiflung, die die Taten mit sich brachten.

Antoine Leiris – You will not have my hate

Eine Autorin, die ich schon länger sehr schätze, weil sie sehr fundiertes Wissen über Frankreich hat und derzeit auch in Paris lebt, Gila Lustiger, hat ebenfalls ihre ganz persönlichen Erfahrungen und Gedanken niedergeschrieben. Zwar hat sie in ihrem unmittelbaren Umfeld keine Opfer zu beklagen, sie kann die Anschläge aber in einem größeren Zusammenhang, der vor allem die Situation auch der jüdischen Bevölkerung in den Fokus nimmt beschreiben.

Gila Lustiger – Erschütterung

2 Die Perspektive der Täter – literarisch

Einen wirklich gelungenen Eindruck davon, wie die zweite Generation von Migranten sich plötzlich radikalisieren kann, ohne dass sich dies lange vorher abgezeichnet hätte, bekommt man mit Hanif Kureishis Drama „The Black Album“. Ein junger Pakistaner will eigentlich in London Literatur studieren und begeistert sich für seine fortschrittliche Dozentin. Nur eine kleine Sache bringt ihn jedoch in die Abhängigkeit einer sich radikalisierenden gruppe, der er sich nicht mehr entziehen kann.

Hanif Kureishi – The Black Album

Leider habe ich zu dem für mich beeindruckendsten literarischen Werk der Thematik keine Rezension verfasst, aber ich kann nur raten, dies zu lesen, wer schon immer einmal verstehen wollte, wie insbesondere Frauen dazu kommen, als Selbstmordattentäterinnen ihr Leben zu opfern.

Yasmina Khadra – L’Attentat

Ähnlich gelagert, nur ein anderer Handlungsort findet sich bei ihm in den Sirenen von Bagdad, die ebenfalls nachzeichnen, wie auch Frust und Hoffnungslosigkeit Gotteskrieger entstehen.

Yasmina Khadra – Les sirènes de Bagdad

3 Das Thema aus Krimi-Perspektive

Joakim Zander lässt eine junge Frau auf die Suche nach den Gründen gehen, weshalb sich ihr Bruder aus dem beschaulichen Schweden in den Krieg nach Syrien begibt, um dort im heiligen Krieg zu kämpfen und möglicherweise zu sterben.

Joakim Zander – The Brother

Eine zufällige Aufnahme bringt den Kameramann Niall in große Gefahr. Er filmt einen Angriff zweier Jugendliche, die bekennen, im Namen Allahs gehandelt zu haben. Niall ist beeindruckt und macht sich an Nachforschungen, um den Hintergrund der Täter zu durchleuchten. Dabei begibt er sich in größte Gefahr.

Zoe Beck – Schwarzblende

4 Die Folgen für die Gesellschaft

Fehlen darf natürlich nicht Michel Houellebcq, dessen Roman zwar nicht direkt Bezug zu den Attentaten herstellt, aber die Sorge vor Islamisierung literarisch überzeugend umsetzt und ein erschreckendes Szenario schafft.

Michel Houellebecq – Soumission

Margriet de Moor – Schlaflose Nacht

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Margriet de Moor – Schlaflose Nacht

Wieder einmal kann sie nicht schlafen. Also geht sie in die Küche und backt, ein russischer Zupfkuchen wird es dieses Mal. Seit vielen Jahren wiederholt sie das Ritual, den immer fragt sie sich, was ihren Mann nach nur eineinhalb Jahren Ehe in den Selbstmord getrieben hat. In dieser Nacht denkt sie auch daran, wie sie sich kennengelernt haben, ihre ersten verliebten Tage und Monate. Die Schicksalsschläge in seiner Familie, die seinem Leben eine ganz andere Wendung gegeben haben und die schnelle Hochzeit. Es muss etwas passiert sein in der kurzen Zeit, doch was? Und soll man als Witwe Anfang zwanzig für den Rest des Lebens alleine bleiben? Aber sie liebt ihn doch – und zugleich liegt oben im Bett ein anderer Mann.

Ein Roman geschrieben in einem train of thoughts. Die Gedanken der Protagonistin schweifen hin und her, zwar weitgehend chronologisch und doch gibt es Sprünge und Einschübe von Kommentaren und Gefühlen, die den Text in eine enge Beziehung mit dem Leser treten lassen. Man folgt ihren Gedanken und Erinnerungen, leicht lässt sich ihr emotionales Schwanken zwischen der Liebe zu dem toten Gatten und dem Aufbruch in ein neues Leben nachvollziehen, Auch der Drang herauszufinden, weshalb er es getan hat, noch viele Jahre nach dem Ereignis. Margriet de Moor hat auch die perfekte Länge gefunden: intensiv, aber nie ausschweifend; eine Liebesgeschichte ohne Kitsch; eine Trauerbewältigung, die einem aber emotional nicht überfordert.

Susan Perabo – The Fall of Lisa Bellow

A robbery, and abduction and a girl who remains behind…

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Susan Perabo – The Fall of Lisa Bellow

Meredith Oliver is a 13-year-old rather non-descript girl. The only moment, when she was put on the spotlight was when her older brother Evan, a baseball prodigy, was severely injured and his nascent career came to an end. One afternoon after school, she passes by a deli when suddenly a gunned man enters and robs the market. Meredith finds herself on the floor together with Lisa Bellow, the most popular girl of her school. Lisa is full of fear and trembling all the time. Then the robber orders Lisa to accompany him. When Meredith wakes up again in hospital, she cannot recall the last minutes and give the police important information to find Lisa. The next weeks become hard, on the one hand, her parents put Meredith into a kind of golden cage, on the other hand, Meredith is adopted by the popular girls due to her fascinating experience and since one place in the group was free now. But Lisa remains missing. And does Meredith really not recall anything of that afternoon?

The novel was advertised as hair-rising and thrilling. This I could not really find in it. Of course, there is some suspense, you want to find out what happened in the deli and how much Meredith remembers. She fantasises about what might happen to Lisa in the robber’s house, at times, I wondered if this really was all fantasy or if she might actually know more than she did. But the crime case was not really in the focus of the novel. Actually, I was wondering while reading, what the novel is essentially about. We have Meredith’s case, her way of coping with the experience, the behaviour of not only her parents but also her classmates after the event. However, a lot of time was spent on narrating her brother’s story, his way of coping with his injury and finding his way back into life. It is not as if I did not like that part, but since the title suggests that Lisa Bellow should somehow be the centre of the narration, I was highly astonished to read that much about the boy.

Susan Perabo did a great job in the way he has her characters develop after the robbery. The parents as well as the girl and Lisa’s mother have different ways of handling it, all different, but all authentic, plausible and differentiated. This is definitely the strongest aspect of the novel. Especially Meredith’s thoughts and fantasies were an interesting insight in her mind and particularly the strange way guilt might work on you. To me, the book is not a thrilling crime story, but a close examination how a family has to come to terms with tragic events.